"In god we trust" blitzt im Nacken von Silas Becks unter dem weißen T-Shirt hervor, während er sich über den Unterarm von Silvia beugt. In Gott vertrauen wir. In schwarze Latexhandschuhe verpackte Finger umklammern die Tätowiermaschine, ein leises Surren ertönt, bevor die feinen Nadeln Silvias Haut durchstechen. Die 41-Jährige wird heute zum ersten Mal tätowiert. "Spirito Sancti" soll für immer die Innenseite ihres Unterarms zieren. Ob er das auch richtig geschrieben habe, wird Becks noch von Zusehern gefragt, bevor er zum Tätowieren ansetzt. "Ja, das ist eine richtige Art, das zu schreiben", behauptet der Tätowierer aus Stuttgart. In Becks vertraut Silvia. 

Mit seinen zahlreichen Bildern auf der Haut ist Silas Becks nur nach außen hin ein gewöhnlich gepeckter Tätowierer. "Ich bin Katholik und Tätowierer", sagt er. "Ich werde oft gefragt, wie das zusammenpasst. Dann sage ich: Ich war natürlich zuerst Katholik und dann bin ich Tätowierer geworden." Im Wiener Begegnungszentrum "Quo Vadis?", einer Institution der Ordensgemeinschaften, tätowiert Becks an diesem Tag kostenlos christliche Symbole. "Gib dir ein Zeichen" heißt diese katholische Tattoo-Aktion, die Quo Vadis-Direktor Christopher Campbell ins Leben gerufen hat.

Video: Christopher Campbell erklärt die Tattoo-Symbole

Campbell ist nicht nur Chef im Haus, sondern auch Autor des Sachbuchs "Tattoo und Religion: Die bunten Kathedralen des Selbst". Darin legt er dar, dass das Tattoo im Christentum eine lange Tradition hat. "Die Tätowierung ist die älteste sakrale Kunst. Man findet sie schon in der Jerusalemer Pilgertätowierung, bei den Orden, bei den Franziskanern und anderen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich ganz viele Gläubige tätowiert, etwa die Male Christi", erklärt der Buchautor. Mit der katholischen Tattoo-Aktion wolle er auch zeigen, welche verschiedenen Menschen in der Kirche ein und aus gehen. Symbole wie der Fisch, das Kreuz oder die Friedenstaube stehen zur Auswahl.  Der Andrang sei riesig. "Hunderte Menschen haben sich angemeldet, weswegen wir am Ende auslosen mussten", sagt Becks. Ungefähr 30 Gläubige können sich an zwei Tagen die Haut mit den christlichen Symbolen verzieren lassen.

"Spirito Sancti" sticht Tätowierer Silas Becks in Silvias Unterarm
"Spirito Sancti" sticht Tätowierer Silas Becks in Silvias Unterarm © Edler-Retter

Zwei ungleiche Religionslehrerinnen sind unter ihnen. Julia Ruf, schwarz gekleidet, roter Lippenstift, High Heels, extrovertiert und mit dem Ziel, ihre schwatzen Tattoos am Unterarm durch ein "Domine, quo vadis?" zu ergänzen. Und Katharina B., eher schüchtern, ein silbernes Kreuz als Halskette und heute hier, um zum ersten Mal auf der Haut gezeichnet zu werden. Ein Kreuz am Handgelenk soll es werden, sagt die 24-jährige Katharina. Die Schmerzen würden ihr Angst machen, doch der Glaube sei stark. "Da musst du dir keine Sorgen machen, das ist nur ein leichtes Ritzen auf der Haut", beruhigt Julia Ruf. Die 30-jährige Theologin Ruf hat bereits ein Kreuz am Handgelenk. Ihr erstes Tattoo, Prag, mit 19, erzählt sie schmunzelnd. Beide eint ein starker Glaube, den sie mit Tätowierungen zum Ausdruck bringen wollen. 

Religionslehrerin Julia Ruf will den Unterarm um "Domine quo Vadis" erweitern
Religionslehrerin Julia Ruf will den Unterarm um "Domine quo Vadis" erweitern © Edler-Retter

"Man findet Tätowierungen in allen Pilgerorten", erklärt Christopher Campbell. Menschen wollen ein Souvenir ihrer religiösen Erfahrungen – auch wenn es eine Oberflächenkunst sei. "Doch der Glaube lebt auch von
Oberflächen, sonst hätten wir nicht so schöne Messgewänder", lacht Campbell. Silas Becks sieht das ähnlich: "Die Menschen bekommen mit dem Tattoo etwas, an das sie sich erinnern oder etwas, das sie schützen soll. Einen Rosenkranz kann man sich kaufen und auch wieder ablegen. Ein religiöses Tattoo ist etwas Lebenslanges", sagt der Tätowierer.

Christopher Campbell, Silas Becks und Manuel Sandesh (v. li.) im Begegnungszentrum "Quo Vadis?"
Christopher Campbell, Silas Becks und Manuel Sandesh (v. li.) im Begegnungszentrum "Quo Vadis?" © Edler-Retter

Für das lebenslange Zeichen hat sich auch der Franziskanerpater Manuel Sandesh entschieden. "Menschlichkeit ist die größte Religion" soll am Ende auf der gesamten Länge seines Unterarms stehen. Dazu ein "Jesus". Die Zeit reicht heute nur für "Jesus", den Rest will der 43-jährige Franziskaner in Stuttgart in Silas Becks Studio "Mommy I'm Sorry" machen lassen. Der unkonventionelle Mönch mit indischen Wurzeln ist auch Hobby-Rapper. Sein neuester Hit trägt auch den Titel "Menschlichkeit ist die größte Religion". Der Song hallt während dem Stechen laut aus seinem iPhone, zeitweise singt er mit. Sandesh machte 2020 auch im Kärnten von sich reden, als er ein Kärntnerlied neu vertonte. Die Kleine Zeitung berichtete. 

Video: Franziskanerpater Manuel Sandesh erklärt sein Tattoo 

Gottesdienst in der Ruprechtskirche 

Silas Becks wird heute Abend noch dem Ruf seiner Nacken-Tätwowierung folgen. In der Ruprechtskirche findet ein eigener Tattoo-Gottesdienst statt, bei dem auch seine Tätowiermaschine gesegnet wird. Am Samstag geht es mit Fischen, Friedenstauben und Kreuzen weiter. In Becks vertrauen die Gläubigen.