"Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst." Mit diesen Worten der Aschermittwochsliturgie beginnt traditionell für Christinnen und Christen die Fastenzeit. Weit geläufiger ist dieser Abschnitt im Jahreskreis den meisten Menschen heute durch Aufrufe zum Basen-, Saft-, Zuckerfasten für die Bikinifigur, zur Entschlackung (als ob der Körper ein Erzbergwerk wäre) oder zum Work-out im Fitnesscenter.

Die großen Asketen der christlichen Vergangenheit hätten angesichts einer solchen Interpretation des Fastens herzlich gelacht. Es wäre ihnen vermessen erschienen, den eigenen Körper und sein Aussehen oder sein Blutbild durch Nahrungsverzicht optimieren zu wollen angesichts der Erkenntnis des Aschermittwochs: Der Mensch ist vergänglich. Jeder Körper zerfällt zu Staub, auch der besttrainierte und entschlackte.

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Das Fasten ist ein zentrales Element religiöser Praxis, fast eine anthropologische Konstante in ganz unterschiedlichen Zeiten, Regionen und Religionen. Ob Judentum, Islam, Hindu-Religionen oder Buddhismus: Sie alle kennen Fasten als Reduktion von oder gänzlichen Verzicht auf Nahrung als Teil ihrer Glaubenswelt. Im Christentum spielt das Fasten von Anfang an eine wichtige Rolle. Das öffentliche Wirken Jesu beginnt nach seinem 40-tägigen Fasten in der Wüste. Damit ist nicht nur die Dauer der vorösterlichen Fastenzeit bis heute vorgegeben, sondern die Erzählung in den Evangelien zeigt auch das erste christliche Grundverständnis des Fastens.

Spiritueller Warteraum für die Begegnung mit Gott

Nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer "wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden" (Mt 4,1). Das Fasten dient der Vorbereitung auf die Predigten, Gespräche, Wunder und Heilungen Jesu. Um das Wort Gottes unbeeindruckt von allen Anfeindungen und Schmeicheleien und unter anstrengenden, wie wir sagen würden, frustrierenden Bedingungen verkünden zu können, braucht es die Gewissheit, auf alles, sogar den Teufel selbst, vorbereitet zu sein.

Das Fasten in der Wüste bedeutet bereits in den Evangelien, auf Distanz zur Welt zu gehen, um die Schwelle zur Gottesbegegnung zu überschreiten (so die wörtliche Übersetzung von "transzendieren"). Es bedeutet auch, sich ehrlich mit allem zu konfrontieren, was einen an diese Welt und ihre Verlockungen bindet. Nahrung ist nur eine davon. Weit schwerer zu überwinden sind Macht und Eitelkeit, die sich in der zweiten und dritten Versuchung Jesu durch den Satan widerspiegeln.

Beim Fasten in seiner ursprünglichen Form geht es nicht darum, den Körper zu disziplinieren, und schon gar nicht, ihn im Sinne eines Schönheits- oder Gesundheitsideals zu optimieren. Dieses Fasten Jesu in der Wüste markiert wie ähnliche überlieferte Praktiken in anderen Religionen eine Übergangszeit, eine Art spirituellen Warteraum für die Begegnung mit Gott (oder anderen Formen der Transzendenz). Es wirft den Menschen radikal auf sich selbst zurück und konfrontiert ihn mit seinen im Alltag wie selbstverständlich ausgelebten oder aber unterdrückten Begierden.

Sogar wir sprechen noch, 2000 Jahre nach dieser Erzählung in den Evangelien, von der "Versuchung", die uns erst so richtig bewusst wird, wenn wir auf etwas verzichten wollen, auch wenn es in der Banalität der Moderne nur mehr ein Schokoriegel ist.

Missverständnis des Fastens

Unser Missverständnis des Fastens ist ein doppeltes: Wir fragmentieren und organisieren es wie auch sonst alles in unserem Leben. Wir verzichten temporär auf Alkohol, Süßes, Kohlehydrate, Autofahren … kombiniert mit mehr wöchentlichen Sporteinheiten, alles fein säuberlich im Online-Kalender und anderen Apps vermerkt. Fasten ist aber weder ein Termin montags von 9 bis 12 Uhr noch der gesenkte Zuckerspiegel. Denn, und das ist unser zweites, fundamentales Missverständnis des Fastens: Fasten hat ein Ziel jenseits unser selbst. Ja, das Ziel des Fastens ist genau diese Erkenntnis der Selbstbezogenheit als Sackgasse, die buchstäblich im Staub enden wird.

Selbst in jenen Fastenwochen(enden), die in einem Rahmen stattfinden, der uns durch seine klösterlichen Mauern noch an die geschichtliche Herkunft des Fastens erinnert, erwarten wir uns "Selbsterfahrung", "Selbstfindung", "Kraft für den Alltag". Fasten im religiösen Rahmen hat für manche die Funktion eines inneren Vollwaschprogramms, nach dem das Ego, von allen Beschwernissen der Konsumwelt befreit, wieder so richtig strahlt. Sein Handy ausschalten und Gemüsesuppe essen ist zweifelsohne zeitweise sinnvoll. Fasten im Sinn des Aschermittwochs und der christlichen Fastenzeit ist das nicht.

Die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg (1207–1282) benennt in unvergleichlich drängender, poetischer Sprache das Ziel ihres tatsächlich exzessiven Fastens: "Bis ich mich in dich hinein verliere, den grundlosen Grund." Sie fastet, um sich selbst ganz in Gott zu verlieren. Am Beginn dieses "Tanzes in immer größere Höhen", wie sie es nennt, steht die Konfrontation mit der Vergänglichkeit des eigenen Körpers: "Aus Staub bist du, zum Staub wirst du zurückkehren." Sich über diese begrenzte, verletzliche, von Schmerz und Krankheit bedrohte Selbsterfahrung zu erheben und sich von ihrem göttlichen Geliebten mitreißen zu lassen, ist Ziel ihres Fastens. Selbstfindung als Ziel des Fastens wäre ihr bloß als eine weitere teuflische Versuchung erschienen.

Hungern und auf Erleuchtung warten

So radikal mögen wir es nicht und ein göttlicher Geliebter, oder Gott überhaupt, ist heute schwer vermittelbar. Und doch macht uns diese mystische Autobiografie einer Frau vor vielen Jahrhunderten unverblümt deutlich, worum es beim Fasten ursprünglich geht, und warum uns außer einem leeren Magen und lockeren Hosenbund oft nichts von unseren weltlichen Fastenübungen bleibt.

Wir überschreiten nicht die Schwelle zum ganz anderen, sondern starren im schlimmsten Fall so lange in den Abgrund, in dem wir unser Selbst vermuten, bis dieser Abgrund in uns zurückstarrt, wie es der Philosoph Friedrich Nietzsche so schön formulierte. Schon die frühen christlichen Asketen kennen diese Gefahr: Einfach in der Wüste zu sitzen, zu hungern und auf die Erleuchtung zu warten, kann in die Verzweiflung der Leere führen, wenn man aus der Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit und der teuflischen Versuchungen ringsherum nicht mehr herausfindet und nur mehr das eigene Elend sieht.

Gegen diese Todsünde der "tristitia", der fruchtlosen spirituellen Suche, die nur beim eigenen Ich endet, empfiehlt die Tradition: Arbeit. Die Hinwendung zum anderen, ob dem Gemüse im Klostergarten, den Armen und Kranken, den Vertriebenen und Heimatlosen, ist der zweite Teil der gelungenen Fastenübung, den wir kaum noch im Blick haben. Jesus fastet nicht, um zu fasten, er fastet auch nicht, um mit dem Teufel einen Wettkampf auszutragen. Er fastet, um sich den Menschen in Galiläa und Judäa zuwenden zu können, im vollen Wissen darum, dass dieses Leben zunächst einmal im Staub enden wird.

Denn auch daran erinnert zu guter Letzt der Aschermittwoch: Bedenke, dass nach den 40 Tagen Fastenzeit Ostern kommt. Der Palmsonntag mit seinem kurzen, vergänglichen Triumphzug unter Palmzweigen. Der Gründonnerstag mit Gemeinschaft und Verrat. Der Karfreitag mit Schmerz und Tod. Der Karsamstag mit hoffnungsloser Trauer. Und dann der Ostersonntag. Über Jahrhunderte haben die Generationen vor uns gefastet in der Gewissheit, dass ihnen diese Zeit der Vorbereitung die Erfahrung des Ostersonntags zugänglich macht: Nach dem Zerfall zu Staub und Asche kommen die Auferstehung und das ewige Leben bei Gott. Daraufhin lohnt es sich, zu fasten.

Theresia Heimerl,  Religionswissenschaft an der Universität Graz
Theresia Heimerl, Religionswissenschaft an der Universität Graz © LELJAK/UNI GRAZ