Ein weiterer Anlauf für eine befristete Verlängerung für den Einsatz des umstrittenen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffs Glyphosat ist am Dienstag in Brüssel zunächst gescheitert. Das bedeutet aber noch nicht das Auslaufen der Zulassung.

Wie die Kleine Zeitung aus Teilnehmerkreisen erfuhr, gab es in der Abstimmung im Berufungsausschuss der EU-Kommission zwar eine Mehrheit für eine befristete Verlängerung, allerdings ging sich "um ein paar Zehntelprozent" keine qualifizierte Mehrheit (Stimmrechte gemäß Bevölkerung der EU-Länder) aus.

Update 16:30 Uhr: Nach zwei gescheiterten Anläufen hat nun die EU-Kommission selbst das Recht, die Zulassung befristet um ein Jahr zu verlängern. Davon werde man auch rechtzeitig vor dem 15. Dezember 2022 Gebrauch machen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission Dienstagnachmittag.

Wie berichtet, läuft am 15. Dezember 2022 die von der EU für fünf Jahre erteilte Zulassung zum Einsatz des umstrittenen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffs Glyphosat (häufigstes Produkt: Roundup) aus. 2017 wurde mitbeschlossen, dass eine mögliche weitere Zulassung erst nach eingehender Risikobewertung durch die EFSA (EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit) erfolgen wird.

Warum das so lange dauert

Diese umfassende Risikobewertung ist vor Laufzeitende aber nicht fertig, sondern erst im Sommer 2023 – zumal allein der Bericht dazu schon 11.000 Seiten stark sei und 7000 (!) diverse Studien und Publikationen dazu einzuarbeiten seien.

Ball liegt nun bei EU-Kommission

Die EU-Kommission schlug also eine Verlängerung der Zulassung um ein Jahr vor, bis eben die Risikobewertung als Basis für ein endgültiges Ja oder Nein da ist.

Über diesen Vorschlag wurde schon Mitte Oktober einmal abgestimmt, allerdings fand sich damals keine qualifizierte Mehrheit dafür. "Wir werden uns dem Vorschlag der EU-Kommission anschließen und einer Verlängerung um ein Jahr zustimmen, bis die endgültige EFSA-Bewertung da ist", erklärte im Vorfeld Johannes Fankhauser die Linie von Österreichs Landwirtschaftsministerium.

Das ließ gestern schon bei "Global 2000" Umwelttechniker Helmut Burtscher-Schaden die Wogen hochgehen. "Ein Ja zur Verlängerung von Glyphosat hätte fatale Symbolwirkung", zumal Österreich 2017 gegen eine Verlängerung gestimmt habe.

Auch die Handelskette Spar forderte im Vorfeld über ihren eingesetzten "Bienen-Rat" im Vorfeld der Entscheidung von Österreichs Bundesregierung "ein klares Nein zu Glyphosat auf EU-Ebene".

Katrin Hohensinner-Häupl (Frutura), Alexander Egit (Greenpeace), Bernd Kajtna (Arche Noah), Robert Brodschneider (Uni Graz), Spar-Vorstand Markus Kaser, Stefan Mandl (Biene Österreich)
Katrin Hohensinner-Häupl (Frutura), Alexander Egit (Greenpeace), Bernd Kajtna (Arche Noah), Robert Brodschneider (Uni Graz), Spar-Vorstand Markus Kaser, Stefan Mandl (Biene Österreich) © (c) markuswache.com

SPÖ und FPÖ kritisieren Entscheidung, ÖVP bedauert

In einer ersten Reaktion zeigten sich die Parlamentsklubs von SPÖ und FPÖ (in Österreich) erbost darüber, dass überhaupt eine Verlängerung um ein Jahr winkt. Beide Parteien hatten 2019 in Österreich ja für ein Glyphosat-Totalverbot votiert.

Der EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber (ÖVP) zeigte sich indes enttäuscht, dass es nicht auf Anhieb zu einer Verlängerung kam: "Das Ergebnis ist nicht das, was wir erhofft hatten", so Bernhuber, der sich "für die Landwirtinnen und Landwirte" mehr Planungssicherheit wünscht.

Warum die Grünen sich ruhiger verhalten

Die auffällige Zurückhaltung der Grünen bei dem Thema begründete der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz so, "dass wir froh sind, dass die EFSA endlich die von uns initiierten Reformen umsetzt und nun wirklich genau prüft und nicht nur Studien der Hersteller durchwinkt". Es gehe hier längst nicht nur um Glyphosat, sondern darum, dass künftig sämtliche Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln auf objektivere Beine gestellt würden.

Im seit Jahren laufenden Expertenstreit zwischen Umwelt-NGOs, Behörden und Pflanzenschutzmittel-Herstellern wird ja u. a. darüber gestritten, ob Glyphosat potenziell krebserregend sei. Zuletzt kam die Europäische Chemikalien-Agentur (ECHA) zum Schluss, dass Glyphosat "nicht krebserregend" sei, aber giftig für Wasserlebewesen sei. Glyphosat-Gegner zweifeln dies aber an.

Die Zahl der Pflanzenschutzprodukte, die auf Glyphosat basieren, ging in den letzten Jahren stark zurück. Aktuell sind hierzulande 24 Glyphosat-Produkte zugelassen (2017 waren es noch 50). Die in Österreich verkaufte Menge des Wirkstoffs ging seit 2017 um 30 Prozent zurück.

Wo wird es nachgewiesen?

Kontroll- und Prüfdaten der heimischen Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) zeigen laut Johannes Steinwider, dass zwischen 2017 und 2022 Glyphosat bei 2952 genommenen Proben in vier Fällen über dem Grenzwert war (zweimal Honig, einmal Leinsamen, einmal Linsen). Nachgewiesen, wenn auch in geringer Konzentration, konnte es in 164 Fällen werden, wobei das auffällig häufiger Produkte aus Drittstaaten (5,9 Prozent) als Produkte aus der EU (1,7 Prozent) oder aus Österreich (1,1 Prozent) treffe.

Chronologie: Teilverbot in Österreich seit 2021

Österreich beschloss ja 2019 eigenständig (gegen die Stimmen der ÖVP) ein Totalverbot von Glyphosat, was aber von der EU wieder zurückgeworfen wurde, weil überall die gleichen Regeln gelten müssten. Seit 2021 gibt es aber ein abgespecktes Teilverbot, das die Anwendung an öffentlichen Plätzen, Kindergärten, Sportplätzen verbietet, nicht aber den Einsatz in der Landwirtschaft. Allerdings verbietet etwa Österreichs größte Molkerei, die Berglandmilch, seinen Bauern schon seit vielen Jahren den Einsatz von Glyphosat.

Übrigens: Findet sich auch heute keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen eine Glyphosat-Verlängerung, kann die EU-Kommission die Zulassung auch von sich aus um ein Jahr verlängern. Findet sich eine qualifizierte Mehrheit dagegen, dürfte Glyphosat ab 16. Dezember nicht mehr in der EU verkauft werden.