Frau Havryliv, Sie forschen seit 1994 zur österreichischen Schimpfkultur. Zuletzt analysierten Sie die pandemiegeprägte Sprache im Alltag. Welche Schimpfwörter werden am häufigsten verwendet?
OKSANA HAVRYLIV: 'Oaschloch', 'Trottl', 'Idiot', das ist interessanterweise seit 15 Jahren unverändert.

Sind wir im internationalen Vergleich Spitzenreiter?
Das lässt sich schwer vergleichen. Oft heißt es, nur die Pariser seien noch unfreundlicher als die Wiener. Ich glaube nicht an Stereotype, aber gleichzeitig entspricht jedes Stereotyp zu einem gewissen Grad der Wahrheit.

Wie sieht es innerhalb Österreichs aus, wer schimpft am meisten?
Wienerinnen und Wiener wollen ihrem Image gerecht werden und granteln. Geschimpft wird von Vorarlberg bis zum Burgenland aber gleich oft.

Wie wird in Österreich geschimpft?
Grundsätzlich wird zwischen vier Arten der Schimpfkultur unterschieden. Dem fäkal-analen, dem sakralen und dem sexuellen Schimpfen. Im Nahost-Bereich ist die Verwandtenbeleidigung vorherrschend – vor allem die Beleidigung von Frauen. In Österreich wird vorwiegend das Fäkal-anale und Sakrale praktiziert.

Was bedeutet das?
'Scheiße', 'Oaschloch', 'Kruzifix', 'Himmelherrgott' fällt darunter. Wichtig zu verstehen ist, dass Schimpfen eine Art Regelverstoß, ein Tabubruch ist. Je wichtiger beispielsweise Sauberkeit, Ordnung in einem Land, einer Gesellschaft sind, desto häufiger wird darüber geschimpft. In slawischen Sprachen ist das sexuelle Schimpfen vorrangig, weil das Thema Sex häufig ein Tabu ist.

Schimpfforscherin Oksana Havryliv
Schimpfforscherin Oksana Havryliv © Mario Lang

Haben slawische, arabische Sprachen im Einwanderungsland Österreich einen Einfluss auf die heimische Schimpfkultur?
Den Einfluss slawischer Sprachen merken wir tatsächlich beim Wort 'Oida', das häufig als 'pausenfüllendes' Schimpfwort gebraucht wird. Das war vor 20 Jahren noch nicht so. Vom Gebrauch vergleichbar mit dem B/K/S-Wort 'jebote'. Die Bedeutung ist aber eine völlig andere. Im Ukrainischen ist es beispielsweise das Wort 'kurwa'. Durch die arabische Sprache hat sich die Mutterbeleidigung ('deine Mutter'), vor allem bei Jugendlichen, hierzulande etabliert.

Wird Schimpfen immer mehr zur Gewohnheit?
Ja, das ist durchaus spürbar. Ich kenne Menschen, die sagen: 'Vor 40 Jahren hätte ich für 'Scheiße' noch eine Watsche bekommen.' Es ist bedenklich, dass der Wunsch nach Expressivität, also nach ausdrucksstarken Wörtern, ergo Schimpfwörtern, so angestiegen ist. Eine schlechte Sprachkultur hängt immer mit einer schlechten Grundstimmung im Land zusammen.

Verkommt durchs Schimpfen unsere Sprache?
Fakt ist, dass Schimpfen bei Kindern häufig mit ungenügender sprachlicher Entwicklung zusammenhängt. Soziale Medien bestärken dieses Phänomen. Wenn Kinder beispielsweise nur Emojis verwenden, verlernen sie die richtigen sprachlichen Ausdrücke.

Ist Schimpfen also generell schlecht?
Nein, Schimpfen muss nicht immer negativ sein. Insgesamt erfüllt es bis zu 20 Funktionen. Das kann das scherzhafte Beleidigen in Freundschaften sein, das signalisiert, wie stark die Bindung untereinander ist, oder die tröstende Funktion, wenn die beste Freundin eine Trennung durchlebt und 'der Wichser' sie sowieso nicht verdient hat. Um die Anzahl an Schimpfwörtern im eigenen Sprachgebrauch zu reduzieren, können auch Ersatzwörter verwendet werden: 'Du Goldfisch' zum Beispiel.