Ein ehemaliger Boxer, der im vergangenen Herbst an einer U-Bahn-Station in Wien-Ottakring einen 22-Jährigen mit einem Klappmesser vorsätzlich getötet und einen um drei Jahre älteren Mann lebensgefährlich verletzt haben soll, hat sich am Montag am Landesgericht mit Notwehr verantwortet. Er sei angegriffen worden und habe aus Angst um sein Leben zugestochen, beteuerte der Angeklagte.

Der 22-Jährige - ein gebürtiger Tschetschene, der seit seinem zehnten Lebensjahr in Österreich lebt - war in der Nacht auf den 1. Oktober 2017 mit seinem Cousin und zwei afghanischen Freunden unterwegs. Auf einem Bahnsteig an der U6-Station Thaliastraße traf die Gruppe auf drei junge Serben, mit denen es aus nichtigem Anlass zu einem zunächst verbalen Disput kam. Die Serben hatten eine junge Frau unwirsch weggewiesen, die sie um eine Zigarette gebeten hatte. Die anderen Männer kannten die Frau vom Sehen, sie hatten sie unmittelbar zuvor vor einer Diskothek kennengelernt. Sie dürften für sie Partei ergriffen und damit die Serben gegen sich aufgebracht haben.

Acht Stiche versetzt

Das Bildmaterial aus den Überwachungskameras der Wiener Linien belegt, dass die Aggression von den Serben ausging. Nach einem kurzen Wortgefecht gingen zwei von ihnen auf den Cousin des Angeklagten los, der einen Faustschlag kassierte und zu Boden ging. Als sich der Schläger dem 22-jährigen Tschetschenen zuwandte und diesen in offensichtlich gewalttätiger Absicht gegen die Wand drückte, zückte dieser ein Klappmesser und versetzte dem 22-Jährigen acht Stiche. Einer ging in die Lunge, einer verletzte die Arterie. Der Bewaffnete brachte dem Gleichaltrigen auch noch eine klaffende Schnittwunde am Hals bei. Dem zweiten Angreifer rammte er danach das Messer drei Mal in die Brust und zwei Mal in die rechte Achselhöhle.

"Unermessliche Gewaltbereitschaft"

Er habe "wie wild auf die Männer eingestochen", betonte Staatsanwältin Viktoria Berente in ihrem Eingangsplädoyer. Sie bescheinigte dem Angeklagten eine "unermessliche Gewaltbereitschaft", dieser habe "aus unkontrollierter Wut und Aggression gehandelt". Damit brachte sie Verteidiger Rudolf Mayer gegen sich auf. "Es war keine aggressive Messerattacke. Es war eine Verteidigung", korrigierte der Anwalt. Sein Mandant habe zunächst tatenlos zugesehen, als sein Cousin niedergeschlagen wurde. Erst als einer der ihm körperlich deutlich überlegenen Angreifer auf ihn losging, habe er sein Verhalten geändert. Der Tschetschene misst eigenen Angaben zufolge 1,72 Zentimeter und bringt 70 Kilogramm auf die Waage. Die beiden Serben waren dagegen über 1,90 groß und über 90 Kilogramm schwer.

"Ich habe mich nur verteidigt, weil ich nicht wusste, was passieren wird", gab der 22-jährige Tschetschene zu Protokoll. Auf die Frage der vorsitzenden Richterin Claudia Zöllner, weshalb er als Boxer nicht von seinen Fäusten Gebrauch gemacht hätte, meinte der 22-Jährige: "Ich habe Angst gehabt. Die waren so riesig und stark. Ich dachte, wenn ich schlage und die nicht richtig treffe, dass die nicht umfallen, bringen die mich um." Er habe "nicht gezielt gestochen. Es war so schnell." Aus Angst und weil weiter auf ihn eingeschlagen wurde, habe er "so oft gestochen".

Bis zu seiner Festnahme hatte der Tschetschene seit sieben Jahren in einem Wiener Boxverein trainiert. Der Website Boxrec zufolge, die sämtliche Profi-Boxer weltweit auflistet, hat der 22-Jährige unter dem Kampfnamen "The Hunter" drei Kämpfe bestritten, zuletzt im April 2017 im Hamburg, wo er eine Niederlage bezog. Danach beendete er offiziell seine Karriere. Von der Richterin auf seine sportlichen Ambitionen angesprochen, meinte der Angeklagte: "Ich habe das nur als Hobby gemacht." Beruflich sei er drei Jahre in einem Supermarkt an der Kassa gesessen, ehe er im Vorjahr kündigte: "Ich hatte Kreuzschmerzen vom Sitzen." Er habe sich daher eine Stelle als Lagerarbeiter suchen wollen.