Die Bluttat an einem siebenjährigen Mädchen im "Dittes-Hof" in Wien-Döbling dürfte geklärt sein: Die Polizei hat einen erst 16-jährigen Nachbarn der Volksschülerin festgenommen, der die Tat bereits gestanden an.

Die Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner sprach im "ZiB 2"-Interview über Tötungsdelikte, die ohne eine zunächst klar erkennbare Motivation begangen werden. Sie sieht "nur scheinbare Motivlosigkeit":

Als Motiv nannte der 16-Jährige selbst eine "allgemeine Wut", sagte Oberst Gerhard Mimra bei einer Pressekonferenz am Dienstag "Er sei nicht gut drauf gewesen sein", soll er bei der Einvernahme gesagt haben. Das Mädchen sei freiwillig mit ihm mitgegangen. Sie war mit der Familie des Burschen bekannt gewesen und dürfte sich am Freitag alleine mit dem Verdächtigen in der Wohnung seiner Eltern aufgehalten haben. "Sie hat nicht bemerkt, dass er da bereits ein Küchenmesser bei sich trug", sagte Mimra. Der 16-Jährige soll sie dann ins Badezimmer dirigiert, in die Duschwanne gestoßen und mit einem Küchenmesser attackiert haben. Der Angriff auf den Hals war Mimra zufolge derartig massiv, dass beinahe der Kopf abgetrennt worden ist. Die Eltern des Burschen waren zum Zeitpunkt nicht zuhause, der jüngere Bruder spielte im Hof.

Die Angaben des Jugendlichen zu seinem Motiv machten die Ermittler fassungslos: "Wir haben ihn gefragt: 'Warum dieses Mädchen?' Er hat diesen Stehsatz, den man oft hört, gesagt: 'Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort.'", schilderte Haimeder die Verantwortung des Burschen. Der 16-Jährige dürfte keine großen Emotionen oder Reue gezeigt haben: "Es ist ihm egal, von seinen Aussagen und seiner Körpersprache her. Es tut ihm die Mutter des Opfers leid, nicht das Mädchen."

Nach derzeitigem Ermittlungsstand war es nicht absehbar, dass der Jugendliche so eine Bluttat verüben könnte. "Er hat angegeben, dass sich bei ihm in der vergangenen Woche eine allgemeine Wut aufgebaut hat", sagte Haimeder. Näher definiert habe er dies nicht. Der 16-Jährige ist Gymnasiast, er war ein guter Schüler und sei nach ersten Erkenntnissen auch nicht gemobbt worden oder sei auf jemanden böse gewesen sein.

Die Eltern des 16-Jährigen waren zum Tatzeitpunkt nicht zuhause. Sie brachen zusammen, als sie das Geständnis ihres Sohnes hörten. Die Mutter kollabierte und wurde von der Rettung versorgt. Ein Freund holte die Familie aus der Wohnung ab und brachte sie weg.

Tatmotiv

Die Ermittlungsarbeit der Polizei ist noch nicht abgeschlossen. Von weiteren Einvernahmen erhoffen sie sich, dass es doch noch nähere Aufschlüsse zum Tatmotiv gibt. Auch sein Computer und sein Mobiltelefon werden gecheckt. Mimra und Haimeder betonten auf Nachfrage, dass es bisher keine Hinweise auf andere Motive gibt, etwa auf eine versteckte Radikalisierung oder dass es im Hintergrund etwa doch Zwistigkeiten zwischen den beiden Familien gegeben hat.

Die Wohnung der Eltern des Verdächtigen
Die Wohnung der Eltern des Verdächtigen © KK

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"Er hat bei seiner Befragung die Tat ganz trocken geschildert", berichtete auch Nikolaus Rast, Rechtsvertreter der Angehörigen des getöteten Mädchens. Motiv habe der Mann - er soll ursprünglich aus Tschetschenien stammen, seit längerem in Österreich leben, ein Gymnasium besucht haben und mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen - keines genannt bzw. angeben können.

Aufmerksam wurden die Polizisten auf die Wohnung des Verdächtigen, da Spürhunde angeschlagen hatten. In den Räumlichkeiten wurden dann trotz oberflächlicher Reinigung auch Blutspuren gefunden. Anfangs gab der Verdächtige noch an, sich "in der Schule in den Finger geschnitten zu haben", schließlich gestand er noch in der Wohnung im Beisein seiner Eltern die Tat.

Mutter sei erleichtert

Die Mutter von Hadishat
Die Mutter von Hadishat © KK

"Im Namen der Familie danke ich der Polizei für die hervorragende Arbeit", betonte Rast. Speziell die Mutter sei sehr erleichtert, dass ein Tatverdächtiger gefasst werden konnte: "Es geht ihr besser. Sie traut sich jetzt wieder aus der Wohnung."

Die Familie des in Wien getöteten siebenjährigen Mädchens hat keinerlei Erklärung dafür, wieso ihre Tochter von dem 16-jährigen mutmaßlichen Täters erstochen worden ist. Laut dem Anwalt der Familie, Nikolaus Rast, waren die beiden zwar nicht befreundet gewesen, hätten sich durch den gemeinsamen Hof des Gemeindebaus in Döbling aber gut gekannt. Die Tat des "Verrückten" sei ohne Vorzeichen passiert.

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Der Bursche sei im Vorfeld in der Gemeindebau-Gemeinschaft niemals auffällig gewesen. Sonst hätten die Eltern beim Umgang ihrer Tochter mit dem 16-Jährigen "ganz anders reagiert", sagte Rast. Auch zwischen den Familien herrschte gutes Einvernehmen, Streitigkeiten zwischen Angehörigen gab es nicht. Es handle sich wohl tatsächlich um die "Einzeltat dieses Menschen", meinte Rast.

Bei dem Termin stellte sich die Mutter gemeinsam mit einem Sohn noch einmal den Medien. Sie gab aber kein Statement mehr ab. Der Anwalt bat dann im Namen der Familie darum, die Privatsphäre der Angehörigen zu respektieren, damit diese in Ruhe trauern können.

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Beim Spielen verschwunden

Tatsächlich ging es für die Ermittler um Minuten. Die Angehörigen der Siebenjährigen suchten am Freitag nach dem Mädchen bis in die späten Abendstunden, konnten es aber nicht mehr finden. Sein älterer Bruder erschien gegen 23.00 Uhr in der Polizeiinspektion Julius-Tandler-Platz und gab eine Vermisstenanzeige auf, schilderte der stellvertretende Ermittlungsleiter des Wiener LKA, Gerhard Haimeder.

Noch in der Nacht streiften Polizisten in der Wohnanlage, einem Gemeindebau mit etwa 300 Wohnungen. Am Samstag in den frühen Morgenstunden wurde die Suche fortgesetzt. Es kamen zwei Mordermittlergruppen zum Einsatz, dazu die Bereitschaftseinheit und Polizeihunde. Ein Beamter alarmierte die Mitarbeiter der Müllabfuhr (Magistratsabteilung 48), beim Ausleeren der Container besonders vorsichtig zu sein.

Ein MA48-Arbeiter entdeckte tatsächlich in einem Container das Plastiksackerl, aus dem die Beine des toten Mädchens herausschauten. "Es war eine Frage von Minuten", sagte Haimeder. Der Fundort wurde abgesperrt. "Unser erster Ansatz war, den Tatort zu finden", erläuterte der leitende Ermittler die weitere Vorgangsweise. Die 300 Wohnungen, in denen 520 Anrainer beim Zentralmeldeamt registriert sind, wurden überprüft. Zunächst vermuteten die Fahnder eine Waschküche als Tatort, weil die Leiche offensichtlich gereinigt worden war und sie an einen Ort dachten, in dem der Täter einige Zeit ungestört arbeiten hätte können. Als aber klar war, dass die Waschküchen vom Magistrat gegen Voranmeldung vergeben werden, schieden sie diese Möglichkeit relativ bald wieder aus und konzentrierten sich auf die Wohnungen, wo sie dann bei dem 16-Jährigen Erfolg hatten.

Gerichtspsychiaterin: Motivlose Tötungsdelikte gibt es

Tötungsdelikte, die scheinbar ohne klares Motiv begangen werden, gibt es. Sie sind selten, aber nicht extrem selten und schon gar nicht kulturspezifisch. Die öffentliche Wahrnehmung für solche Taten besteht zu einem Gutteil aus einem Verständnisproblem für das Unerklärbare, sagte am Dienstag die Linzer Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner.

"Unser Narrativ für ein Tötungsdelikt besteht typischerweise darin, dass zwei Menschen mit einander in Streit geraten. Der Streit wird heftiger. Schließlich schlägt jemand zu, ein Opfer stirbt. Damit können wir umgehen. Da könnte man auch bei rechtzeitigem Eingreifen auch etwas verhindern, meint man", sagte Kastner. Viel schwieriger sei es für den Menschen, mit einem Tötungsdelikt ohne schnell feststellbares Motiv umzugehen.

"Aber solche Delikte gibt es eben", sagte die Expertin. Wenn man an die "School Shootings" denke, würden die Täter immer wieder angeben, sie hätten aus einer "Wut auf die Welt" gehandelt. "Unspezifische Gekränktheit", werde von Tätern nach Tötungsdelikten immer wieder als Hintergrund genannt. Die Opfer befänden sich sprichwörtlich zur falschen Zeit am falschen Ort. Auch bei vielen Sexualdelikten sei das der Fall. Opfer und Täter begegnen dann einander zufällig.

Zunächst nicht Erklärbares sei auch nicht zwingend ein Anzeichen von "Krankheit", betonte Adelheid Kastner. "Es gibt aber auch Tötungsdelikte aus einer Erkrankung heraus", betonte die Gerichtspsychiaterin. Die Möglichkeit, dass Menschen plötzlich ein Tötungsdelikt begehen, ist ein Merkmal des Menschseins selbst. "Das ist auch nicht kulturspezifisch", sagte Adelheid Kastner.