Viktor Orbán, der Gottseibeiuns aller glühenden Europäer, wird heute 60 Jahre alt. An Huldigungen und patriotischen Lobhudeleien seiner Gefolgschaft wird es gewiss nicht mangeln. Die Fidesz-Partei ist dem Jubilar treu ergeben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einst vielversprechendes liberales Experiment ist sie in der fünften Amtszeit des ungarischen Ministerpräsidenten längst zu einer von Hofschranzen im Schwung gehaltenen Kampfmaschinerie in einem zunehmend illiberalen Staat verkommen. Alleiniger Daseinsgrund: die Zementierung der Macht des starken Mannes im Land. 

Im Kampfmodus sind allerdings auch Viktor Orbáns zahlreiche Gegner, allen voran das Europaparlament, das dem Geburtstagskind auf besondere Weise die Aufwartung macht. In einer Resolution will es morgen empfehlen, Ungarn den rotierenden EU-Ratsvorsitz für das zweite Halbjahr 2024 zu entziehen.

Ein größeres Geschenk hätten die europäischen Volksvertreter Orbán nicht machen können. Zählt doch die Erzählung von der großen Verschwörung des Brüsseler Establishments gegen das tapfere kleine Ungarnland zu den Lieblingspopanzen, die der ungarische Premier je nach Bedarf einmal größer, einmal kleiner aufbläst, um dann lustvoll darauf einzudreschen. 

„Verraten zu sein ist ein Grundgefühl, wenn man Ungar ist“, sagte uns Orbán, als Hubert Patterer und ich ihn vor vier Jahren in seinem damals frisch renovierten Amtssitz auf dem Burgberg in Budapest zum Interview trafen. Im gepflasterten Hof wehten ungarische Fahnen im Wind, europäische waren keine zu sehen. 

Weit mehr als eine Stunde gab der Premier uns Einblick in seine von übersteigertem Sendungsbewusstsein geprägte Denkwelt. Und krasse Selbstüberschätzung spricht in einer eigenartigen Spiegelung auch aus der Resolution des Europäischen Parlaments. Denn in der Sache hat es nichts zu bestellen. Der halbjährlich wechselnde Ratsvorsitz ist Angelegenheit der Mitgliedsstaaten, und die haben nicht das geringste Interesse daran, die Straßburger Kammer in irgendeiner Form daran zu beteiligen – selbst wenn man in Berlin, Paris, Rom, Madrid und anderswo längst die Nase voll von Orbáns ständigen Quertreibereien und Provokationen hat.

Tatsächlich nimmt die von den Parlamentariern mit missionarischem Eifer geführte Auseinandersetzung mit Orbán mehr und mehr den Charakter eines Religionskrieges an. Aber wohin soll die Trennung in Rechtgläubige und vom wahren Glauben Abgefallene eigentlich führen?

Ungarn die Ratspräsidentschaft abzuerkennen, würde nichts lösen. Im Gegenteil, es würde die Kluft zwischen Ost und West in der Union weiter vertiefen. Am Ende bliebe nur verbrannte Erde zurück. Und wer kann sich das schon wünschen, fragt mit herzlichen Grüßen Ihr