Denk ich an Bosnien, denk ich an Sarajewo und die Spaziergänge mit Dzevad Karahasan, dem großen Humanisten, dort geboren und von dort vertrieben; an die Schönheit der Stadt, geflutet mit Geschichte und an die Wunden, sichtbar noch an den alten Hausmauern, wo man die Einschusslöcher notdürftig überspachtelt hat, sodass sie aussehen, als hätten die Häuser Masern.

Ich denk an die Volksküchen am Basar, an den betörenden Dunst, der über ihm lag, Cevapi mit Sauerrahm und Zwiebeln, nur so, nicht anders. Dzevads Geheiß. Vor allem aber denk ich an die Jungen, an die Gespräche mit ihnen in der „Tito“-Bar, wo der nostalgisch Verklärte mit Richard Burton und Elizabeth Taylor auf Postern zu sehen war, an die Jungen und ihre Geschichten: wie sie im Krieg als Kleinkinder von verzweifelten Eltern durch Fensterluken in überfüllte Flüchtlingsbusse geschubst worden seien, in der Gewissheit, sie entkämen so dem Tod und hätten ein Leben.

Wie sie nach zwanzig Jahren zurückgekommen seien, bestens geschult und mehrsprachig, mit Berliner oder bayrischem Dialekt, zurück in eine Heimat, die sie zurückstieß, weil sie ihnen nichts bot, keine Hoffnung und keine Jobs, und wenn, dann nur, wenn sie bereit waren, das üble Korruptionsspiel der Eingesessenen schon in jungen Jahren mitzuspielen; Heimkehr ohne Perspektive und Zukunft, und die einzige, die ihnen verblieben sei, sei Europa.

Allein dieser Jungen wegen ist die Nachricht vom nahen Beginn der Beitrittsgespräche ein Segen. Valentin Inzko fällt mir ein, wie er mir in einem Lokal in Sarajewo das ethnisch zerfurchte Bosnien erklärte und einen Mercedes-Stern auf die Serviette malte: „Die drei Zacken ohne Kreis, das wäre Bosnien ohne die internationale Gemeinschaft“. Inzko war überzeugt, das die Zacken, Sinnbild für die drei Volksgruppen, ohne Kreis und Klammer zerfallen würden. Der Kreis auf dem Mercedes-Stern, das ist jetzt Europa. Für die, die sich im brüchigen Land ihre Ämter, Pfründe und Privilegien zugeschoben und gesichert haben, ist das keine gute Nachricht. Für alle anderen, die sich in all den Jahren nicht entmutigen haben lassen, darf man sich aufrichtig mitfreuen, meint

Ihr
Hubert Patterer