Wer benötigt 2020 noch einen Schönheitswettbewerb? Junge Frauen nach ihrer äußeren Erscheinung zu bewerten und daraus ein Event zu basteln, hat etwas Steinzeitliches. Tatsächlich fußt eine solche Veranstaltung ja auf mittelalterliche, ja pagane, Bräuche wie die Wahl zur Maikönigin. Die ersten Schönheitswettbewerbe modernen Zuschnitts gab es Mitte des 19. Jahrunderts in den USA, 1888 folgte Europa mit einem Bewerb im belgischen Spa.

Die Motivlage für die Entstehung solcher modernen Bewerbe, die sich ab den 1920ern allmählich durchsetzten, ist ziemlich vielschichtig. Einerseits wurden Frauen damals als neue Zielgruppe für den Konsum entdeckt, man benötigte Idenfikationsfiguren als Werbeträger. Zum anderen wurden solche hübschen, jungen Frauen zum Idealbild einer modernen Gesellschaft (vornehmlich in den USA) stilisiert. Sie waren Role Models, an denen sich der weibliche Teil der Gesellschaft zu orientieren hatte. Sie waren wahrgewordene (Männer-)Träume der modernen Leistungs- und Konsumgesellschaft. Der Grundton ist jedoch immer derselbe: Frauen fungieren als Objekte des männlichen Blickregimes.

Die Fleischbeschau musste sich immer ein wenig anpassen und modernisieren, um zu funktionieren: Talente und gesellschaftspolitische Überzeugungen der Kandidatinnen wurden miteinbezogen, um den Vorwurf solcher Objektivierung zu entkräften. Letztlich entdeckte auch der modernere Feminismus solche Veranstaltugen für sich, weil er darin das Potenzial zur Selbstbestimmung sah bzw. eine Plattform zur Selbstbehauptung und Darstellung "alternativer, individueller" Schönheit erkannte. Eine Phantasmagorie, die das herrschende Blickregime nicht unterläuft, sondern verfestigt, ganz ähnlich wie Kandidaten bei "Deutschland sucht den Superstar" nicht dazu da sind, ihr menschlich-künstlerisches Potenzial zu entfalten, sondern das Geschäft der Medienindustrie zu besorgen. Es sind letztlich Scheinfreiheiten von untertänigen Geistern.

Nun hat man in Deutschland einen weiteren Schritt getan, um diese anachronistischen Veranstaltungen (kaum etwas ist so out und altbacken wie eine Misswahl), irgendwie in die Gegenwart hinüberzuretten. Eine 35-jährige Miss, die nichts mit den überkommenen Vorstellungen von einer Miss zu tun hat, wurde zur Siegerin gekürt. Eine solche Entscheidung ruft natürlich jede Menge Hass hervor: Genauso wie die erste dunkelhäutige Miss America 1983 Ziel von Hass geworden ist.

Liest man die Tweets zur Wahl von Leonie Charlotte von Hase aus Schleswig-Holstein durch, sieht man natürlich schnell, wie verfestigt die Vorstellungen von Schönheit auch in Zeiten eines angeblichen Individualismus sind: "Es heißt doch Miss, nicht Mister Germany" (Frank Pi11), der "Gutdenk-Feminismus hat sich wieder mal durgesetzt (sic)" (MinaTeufel). Oder: "Hat die Jury was getrunken?" (Powerwaver). Trotz des treuherzigen Versuchs der Jury, gängigen Stereotypen etwas entgegenzusetzen und dem antiquierten Bewerb etwas Modernes zu verleihen: Es ist nicht mehr als ein bisschen neuer Anstrich. Miss-Wahlen interessieren heute ohnehin kaum mehr, es sind Veranstaltungen, die viel besser in die Wirtschaftswunderzeit gepasst haben, als ins Jahr 2020.  In den digitalen Plattformen, auf Youtube und Instagram wird längst eine upgedatete Form von Schönheits-Inszenierung praktiziert, die solche Bewerbe nicht benötigt. Die sozialen und äshtetischen Normen werden längst dort gesetzt.