Unlängst habe ich einen älteren Herrn mit zwei großen, weizenblonden Puppen gesehen. Die barbiegesichtigen Plastikdamen mit dem bügelfaltenglatten Haar waren circa einen Meter groß. Wahrscheinlich, dachte ich, hat er sie beim Dosenwerfen oder am Luftdruckgewehr-Schießstand abgeräumt. Doch nein, er hat sie abgeschleppt, aufgerissen. Denn bald war klar, diese Hartschalen-Ladys waren sein Verhältnis. Er begann sie anzugraben, zu liebkosen, ihre Hände auf seine Schultern zu legen, sie abzubusseln. Die Szene war grotesk und es dauerte nicht lange, bis Passanten mit dem Finger auf diesen modernen Pygmalion mit seinen Polypropylen-Galateas zeigten und lachten. Objektliebe zu humanoid aussehendem Kunststoff? Lächerlich? Dabei war er nur verliebt. Krank, mögen manche denken, aber ungefährlich.

Die Liebe ist kein Besenstiel. Jeder will geliebt werden, dabei wird Liebe überall versprochen. Auf Kirchen steht „Jesus liebt dich“, im Restaurant gibt es Heiße Liebe und aus dem Radio sprudeln Liebeslieder wie die Bläschen im Gespritzten. Liebe ist inflationär. Man kann nichts kaufen, das nicht mit Liebe gemacht ist. Da wird mit Liebe gebacken, aus Liebe zu Tieren Fleisch verwurstet, mit Liebe Blech gebogen oder ein Smartphone-Tarif beworben. Dabei ist nirgendwo so wenig Liebe drinnen wie dort, wo sie draufsteht. Ein mit Liebe gebackener Kuchen ist ein labbriger Teigpatzen. Wer „I am lovin it“ sagt, bekommt Fastfood. Der Begriff Liebe ist so abgenudelt und überwuzelt, so ausgezuzelt und zerbissen, dass man ihn für längere Zeit verbieten müsste.

Freilich ist das warme Gefühl, das einem den Bauch in eine Schmetterlingsvoliere verwandelt und ein wohliges Glühwein-Kitzeln in die Kehle steigen lässt, wunderschön.

Die Liebe ist langmütig, gütig, bläht sich nicht auf, heißt es im Alten Testament, sie lässt sich nicht erzürnen, trägt nichts nach. Die Liebe hört niemals auf, also wird sie auch die dümmlichen Werbesprüche verkraften, mit denen sie dauernd vergenusswurzelt wird.

Liebe? Dieses wunderbare, einzigartige Gänsehautgefühl. Fundament des christlichen Abendlandes. Kein Religionsgründer hat das Konzept der Liebe so vehement vertreten wie Jesus von Nazareth. Sein Leben war ein einziges Manifest der Liebe – von der Bergpredigt bis zum großherzigen Verzeihen am Kreuz. Aber was ist daraus geworden? Keine Region war so expansiv und brutal wie das winzige Europa. Im Namen der Christenheit wurde die Welt erobert, hat man Hexen verbrannt, indigene Völker ausgerottet, einen halben Kontinent versklavt, Ungläubige gemartert, Kriege geführt.

Was ist sie also, diese Liebe, die uns jedes Jahr die Weihnachtszeit befestet? Anlass für die Zurüstung mit Geschenken und Abfüllung mit Köstlichkeiten bis zur bauchigen Weihnachtskeksschwangerschaft, die das hehre Agape-Konzept auf ein banales Liebe-geht-durch-den-Magen herunterbricht. Oft derart, dass man nachher Alka Seltzer oder Abführmittel braucht.

Ursprünglich war die Liebe Gott vorbehalten. Im Mittelalter noch ein zartes, im Schatten von Minne und Frauendienst stehendes Pflänzlein – es gab arrangierte Ehen und Zweckgemeinschaften –, wurde sie bald von Romeo und Julia mit Sensen freigemäht. Die Romantik hat dieses Gewächs dann hochgezogen, um, gedüngt von Hollywood, alles andere zu überwuchern. Heute ist die Liebe eine invasive Schlingpflanze. Ein kitschiges Unkraut?

Mittlerweile gibt es nicht nur die Liebe zu Gott, zum Lebenspartner oder zu den Kindern, den Eltern, sondern auch zur Arbeit, was die Selbstausbeutung legitimiert. Es gibt nicht nur Menschen, die die Weisheit lieben – Philosophen –, sondern auch Haustiere, Fußballvereine, Handys, Pokemons oder Autos, alles wird geliebt! Eine Frau aus Schweden ist in die Berliner Mauer verknallt, ein Südkoreaner führt eine Beziehung mit einem Umarmungskissen, und eine Amerikanerin wollte eine eingetragene Partnerschaft mit einer Achterbahn. Die Welt ist liebesverrückt. Menschen sind in alles Mögliche verschossen, in Müllsäcke, Zahnbürsten oder Länder – Letzteres wird häufig bei Politikern diagnostiziert.

Die Liebe ist eine Leerstelle, ein Platzhalter für eine Gemengelage an unterschiedlichen Gefühlen und sie ist vor allem eines, ein Bombengeschäft. So gibt es eine Witwentröstermafia, die darauf spezialisiert ist, mit schmierigen Gigolos die Vermögen alleinstehender Damen abzucashen. Nicht zu reden von Partnerschaftsinstituten und Dating-Plattformen.

Die Liebe ist ein Hund, schnüffelt überall herum, bevor sie markiert. Wirklich entspannen kann sie nur zu Hause. Wenn sie bedroht wird, bellt sie, und ist sie unglücklich, heult sie zum Mond. Die meisten von uns haben Sehnsucht nach einer besseren Hälfte. Bei Platon ist von geteilten Kugelmenschen die Rede, die auf der Suche nach ihrem verloren gegangenen Gegenüber sind. Nur den wenigsten ist dies vergönnt, und dann entpuppt sich dieser Fund nicht selten als unleidliche Person, die Socken sät, ausladend schnarcht, keift, Zwänge und Neurosen hat, mit einem Wort: stört.

Biologen haben festgestellt, diese emotionale Verkaterung liegt an den Hormonen. Die bei der Verliebtheit ausgeschütteten Glücksgefühle bekommt man/frau nur zwei Jahre lang. Danach kann frau/man schauen, was man/frau sich da in der hormonell verblendeten Liebesblödigkeit eingetreten hat. Vielleicht gibt es deshalb in Japan die Möglichkeit, den einzigen Menschen zu ehelichen, der einem nie entfremden kann: sich selbst.

Liebe ist Sehnsucht nach Geborgenheit. Trotz der begrifflichen Entwertung ist klar, es gibt davon zu wenig auf der Welt. Dabei kann man Liebe machen, zumindest in der Sprache, aber meist ist das bloß eine gymnastische Verrenkung mit dem verblassten Ideal der genetischen Reproduktion.

Es geht um das große Gefühl zwischen zwei Menschen, meistens halt; um einen Zustand, der alles andere außer Kraft setzt. Nichts ist so schrecklich wie Liebeskummer und nichts so wunderbar wie Verliebtheit. Also soll jeder lieben, wen und was er mag, und wenn es Barbiepuppen oder Radiergummis sind. Machen wir einen Summer of Love! Warum nicht zur Weihnachtszeit?

Habt euch lieb.