Warum tut sich die Gesellschaft 2023 immer noch schwer, Frauen in Führungspositionen anzuerkennen?
VERA STEINHÄUSER: Ich spreche in solchen Fällen gerne von dem Konzept "Competence - Likability" und dem Hang der Gesellschaft, Menschen eines bestimmten Geschlechts entweder "typisch männliche" oder "typisch weibliche" Attribute zuzuschreiben. Männer werden unter anderem eher mit der Fähigkeit für analytisches Denken in Verbindung gebracht. Mit Frauen werden auf der anderen Seite eher Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen und Empathie in Verbindung gebracht. Zeigt nun eine Frau allerdings eher von der Gesellschaft zugewiesene "typisch männliche" Attribute, beeinflusst das in weiterer Folge ihre "Likability", also die Art und Weise, wie die Person auf zwischenmenschlicher Ebene in Unternehmensstrukturen wahrgenommen wird. 

Wie können sich Frauen gegenseitig im Berufsleben und Alltag effektiv Mut machen?
In Zukunft wird es wichtig sein, mehr Bewusstsein für die anhaltend existierenden Missstände zu schaffen und in weiterer Folge Frauen zu vernetzen, damit diese sich gegenseitig unterstützen können. In unserer Leistungsgesellschaft wird oft unterschwellig so kommuniziert, als sei in der Riege der Top-Positionen immer nur Platz für eine einzige Frau und dass, wenn eine es schafft, kein Raum mehr für weitere ist. Dadurch hat sich auch unter Frauen teils ein starkes Konkurrenzdenken etabliert, genau das Gegenteil dessen, was eigentlich erreicht werden sollte - ein unterstützendes Unternehmens- und Karriereumfeld. Jessica Alba hat einmal gesagt, es braucht nur eine Frau am Tisch der Macht zu sitzen, die dann dafür sorgen kann, dass andere hinzukommen. Vor allem für neue Generationen wie die Gen Z wird es immer wichtiger, dass Gleichstellung und Inklusion am Arbeitsplatz gelebt werden.

Was sind für Sie also die positiven Seiten der Macht und wie können Sie genutzt werden, um Unternehmenskultur nachhaltig zu beeinflussen?
Macht per se hat nichts Negatives, sie verschwindet außerdem nicht, wenn wir sie ignorieren. Sie wird immer existieren. Umso wichtiger ist es, dass sie dazu verwendet wird, Machtzentralen bunter zu verteilen. Jedes Unternehmen profitiert von einer in jeder Hinsicht vielfältigen Führungsetage, denn je interessanter und breitgefächerter die Kompetenzen und Fähigkeiten der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ist, desto mehr kann daraus gewonnen werden. Man muss es nur zulassen.

Es ist erwiesen, dass Männer sich viel eher als Frauen für Jobs bewerben, deren Anforderungen sie nicht zur Gänze erfüllen. Wie können Frauen von dem Denken wegkommen, nicht gut genug zu sein?
Jeder neue Beruf sollte eigentlich als Chance gesehen werden, sich beruflich, aber auch persönlich weiterzuentwickeln. Von jeder Form von Entwicklung nehmen wir etwas für unser weiteres Leben mit. Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens mit Arbeit, wie trostlos wäre es, wenn wir nicht mehr mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden würden, wenn wir uns für einen neuen Job entscheiden. Deswegen müssen wir uns bewusst werden, dass es in Ordnung ist, nicht perfekt zu sein, das ist niemand. Tatsächlich ist es nämlich so, dass Frauen sich sogar noch schwertun, sich zu bewerben, auch wenn sie 120 Prozent der gelisteten Jobanforderungen erfüllen, bei Männern sind es 60 Prozent.

Glauben Sie, dass dieses Verhalten sich bereits in frühen Jahren verfestigt?
Bei Männern hat der Wettbewerbsgedanke einen völlig anderen Stellenwert als bei Frauen. Auch deshalb, weil er bei Mädchen schon im Bildungssystem lange nicht so stark gefördert wird wie bei Burschen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, aufzuhören, Kindern diese immer noch existierenden klassischen Rollenbilder zu vermitteln. Denn dadurch kann in Zukunft verhindert werden, dass sich diese geschlechterbasierte Unterscheidung von Menschen in Machtpositionen weiter in Unternehmensstrukturen verfestigt. Etwas als Kind neu zu erlernen ist um einiges leichter, als etwas als erwachsene Person umzulernen.

In Ihrem Podcast "Die Macht Zentrale" kamen bereits die unterschiedlichsten Frauen in den unterschiedlichsten Positionen zu Wort. Gibt es etwas, dass sie dennoch alle gemeinsam hatten?
Was diese inspirierenden Frauen alle miteinander verbindet, ist der Wille, zu gestalten. Das ist auch, womit ich mich identifizieren kann, da mein eigener Werdegang stark geprägt war davon, dass ich früh selbst Führungsverantwortung übernommen habe. Meine eigenen Erfahrungen und auch die meiner Gästinnen haben gezeigt, dass das Leben von Auf und Abs gezeichnet ist und dass man auch aus schlimmen Erfahrungen Positives mitnimmt.

Wie kann man sich als junge, weibliche Führungskraft in einem Unternehmen behaupten?
Offenheit ist das Schlüsselwort. In so einer Situation kann schnell ein Gefühl von "Jung vs. Alt" entstehen, deshalb ist es wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen und sich auf die jeweilige Lebensrealität der anderen einzulassen. Vor allem junge Menschen wollen gerne verändern und gestalten. Menschen, die seit Ewigkeiten in einem Unternehmen sind, werden auf Neues aber immer mit ein wenig Skepsis reagieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, nicht nur Offenheit zu fordern, sondern selbst offen gegenüber eventuellen Problemen der älteren Mitarbeitenden zu sein.

Wie kann man sich als Frau Gehör verschaffen und klar einen Standpunkt kommunizieren, auch wenn man unsicher ist?
Anstatt des Spruches "Fake it 'til you make it" würde ich eher sagen "Fake it until you become it" (schmunzelt). Man kann trainieren, mit seiner Meinung stärker aufzutreten, Stichwort "Power Posing". Es gibt einfach Personen, die introvertierter sind, aber auch sie können lernen, sich Gehör zu verschaffen. Dabei können Coachings, Stimmtraining und Rethorikseminare bereits Wunder bewirken und dabei helfen, sich auch selbst zu bestärken, "Self Empowerment", wie man heute sagen würde. Das geht natürlich nur, wenn auch der persönliche Wunsch zur Weiterentwicklung besteht.