Der Film hält sich so hartnäckig wie ein Virus in seiner optimalen Umgebung: Wer das Wort „Outbreak“, also Ausbruch, in die Suchmaschine Google wirft, wird zwar eine unendliche Anzahl an Artikeln über das Coronavirus finden, aber die Nummer 1 auf der Liste ist immer noch der mäßig gelungene Thriller „Outbreak“ von Wolfgang Petersen. Ein Affe, mit einem tödlichen Virus infiziert, wird an eine Zoohandlung in den USA verkauft, kratzt dort einen Menschen und setzt so einen Teufelskreis in Gang. Diese Krise ist gepflastert mit Bildern, die wir derzeit überall sehen: Menschen in Schutzanzügen, Militär, das ganze Dörfer abriegelt, Menschen mit Gesichtsmasken. Das Kopfkino geht an. Willkommen im Panikraum.

Doch es sind nicht nur die Bilder aus Hollywood, die unsere Vorstellung von Krisen dieser Art prägen: „Es ist ein klassisches Problem unserer Gesellschaft. Wir glauben nämlich, dass wir alles kontrollieren können. Tritt dann etwas auf, wie das Coronavirus, das wir nicht unter Kontrolle haben, dann wird diese Welt sehr, sehr verletzlich. Unsere so aufgeklärte Welt beginnt zu wanken“, so Gerhard Grossmann, Experte für Krisen- und Katastrophenmanagement an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Schon 1986 hat der deutsche Soziologe Ulrich Beck mit seinem Buch „Die Risikogesellschaft“ eines gezeigt: Je moderner eine Gesellschaft ist, desto anfälliger ist sie auch. Nicht nur globale Risiken nehmen zu, es ist auch unsere eigene Ohnmacht, die sich hier widerspiegelt, so Grossmann: „Wir sind gewohnt, dass es für alles eine Nummer und eine Organisation gibt. Und damit ist es für uns schon erledigt, wir müssen uns da nicht viel scheren.“ Doch im Fall von Corona kommt noch ein Faktor ins Spiel, der die alles entscheidende Komponente in unserem eigenen Verhalten ist, nämlich wie wir selbst das Risiko einer Situation einschätzen. Profis würden sagen, dass das Risiko viel mit Wahrscheinlichkeit zu tun hat, also mit Mathematik. Aber das Zentrum im Hirn, das für Angst zuständig ist, ist nicht gut in Statistik.

Der Mensch und wie er das Risiko in der Welt sieht, hat vor allem etwas mit ihm selbst zu tun. In der Theorie mag man von objektivem Risiko, subjektivem Risiko, Grenzrisiko und Restrisiko sprechen, die in Summe ein Ganzes ergeben. Salopp gesagt heißt das jedoch: Es gibt die objektiven Fakten und es gibt das, was man selbst daraus macht. Letzteres wird auch mitgeprägt von Faktoren „wie demografischen Gegebenheiten, von kultureller Herkunft und ganz stark von persönlicher Lebenserfahrung“, so der Krisenexperte.

Hat der Mensch also erst einmal eine Risikobewertung für sich vorgenommen, so lässt er sich nur schwer davon wieder abbringen, ganz im Gegenteil: „Der Mensch pickt sich bei der Bewertung seines subjektiven Risikos natürlich das heraus, was die eigene Wahrnehmung bestätigt.“ Das kann in einer Krise wie der aktuellen beides bedeuten: Man fühlt sich ganz Herr der Lage oder eben auch nicht – Letzteres mit zum Teil dramatischen Folgen, etwa für die Krankenhäuser und Einsatzorganisationen, so Grossmann: „Das führt zu einer riesigen Spirale, die dann auch zum Problem wird, die unter Umständen auch zu einer Überforderung für die zuständigen Stellen führt.“

Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind hier die sozialen Medien, die in den jeweiligen Filterblasen genau jene Informationswelt schaffen, die man für seine eigene Risikoeinschätzung benötigt. Doch die aktuelle Krise fördert noch andere Faktoren zutage, mit denen der Mensch erst einmal umgehen lernen muss: Anders als beim klassischen Katastrophentourismus, wo man nichts anderes als ein Zuschauer ist, hat sich in der aktuellen Lage die Ausgangslage verändert: Man ist nicht länger nur ein Zaungast, der den Ort des Geschehens jederzeit verlassen kann, sondern man ist mittendrin.

Das würde auch der üblichen Sichtweise widersprechen, wie sich der Mensch in Krisensituationen grundsätzlich gerne verortet: Es trifft immer die anderen zuerst. Dazu gehört auch, dass der „Gegner“ hier unsichtbar ist. Ein Virus, nicht zu sehen, nicht zu riechen, nicht greifbar: „Das macht uns noch unsicherer, weil es unserer Intention, alles in den Griff bekommen zu wollen, wirklich untergräbt.“ Hinzu kommt auch die Sprache, die die Menschen durchaus verunsichern kann. Worte wie „isolieren“, „Quarantäne“ oder „absondern“ rütteln an der menschlichen Urangst, vom Kollektiv getrennt zu werden. Dass mit fortschreitender Entwicklung die Ängste weniger werden, darauf braucht man nicht zu hoffen. Vielmehr geht Gerhard Grossmann davon aus, dass es bei anhaltender Krise zu einer Art Sättigung kommen wird.

Der Mensch ist ein klassischer Grenzgänger

Ganz anders verhält es sich jedoch, wenn sich das nötige Medikament am Horizont abzeichnet, dann ändert das die Situation komplett: „Dieses Gefühl, wieder Sicherheit zu haben, das wird dann viel schneller aufgenommen als irgendwelche Aussagen über Sachverhalte.“ Der Mensch fährt danach seinen Alarmismus wieder zurück und recht schnell sind Krisen wie diese aus dem kollektiven Alltagsgedächtnis verschwunden. Wobei, nicht ganz, beim Individuum stellt sich etwas ein, was die Experten „Risikohomöostase“ nennen: „Sobald wir irgendetwas haben, das uns schützt, wird unser Verhalten nicht angeglichen, sondern wir gehen immer noch eine Spur weiter.“ Typisch Mensch: Er ist immer ein Grenzgänger.