"Wenn man nach Norden radelt, geht es dann immer bergauf?“ Auf die Frage meiner Tochter habe ich keine überzeugende Antwort gefunden. Ich weiß nur, dass die Flussradwege in Österreich und Deutschland zu den schönsten und gepflegtesten in Europa zählen. Die Idee, den großen Flüssen bis nach Hamburg zu folgen, entstand an einem langen Winterabend und endete mehr als 1300 Kilometer entfernt.

Die Route akribisch planen, jedes Detail wie Kleidung, Ersatzteile, Werkzeug sorgsam auswählen, im Hinblick auf Funktion und Gewicht sortieren: Die Vorbereitungen laufen. Sogar das Fahrrad, ein „Gravelbike“, habe ich mir eigens für diesen Zweck bestellt – aufgrund der aktuellen Engpässe hat es bis zur Lieferung fast ein Jahr gedauert. Gravelbikes sind aufgrund ihrer robusten Ausführung und den etwas breiteren Profilreifen perfekte Begleiter für lange Radtouren abseits befestigter Straßen.

Zu meinem Abenteuer inspiriert hat mich übrigens die Geschichte von Thomas Stevens, der 1887 mit einem Hochrad um die Welt fuhr. Ein unglaubliches Unternehmen, wenn man sich den Zustand der Straßen in der damaligen Zeit vor Augen führt. Angeblich musste der ausdauernde Weltenbummler sein Rad sogar mehr als 1000 Kilometer schieben.

Das platte Land entlang der Elbe
Das platte Land entlang der Elbe © RAFFALT

Radeln entlang der Flüsse

Auf den Bergen liegt noch Schnee, aber ich will endlich aufbrechen. Zeitig in der Früh schiebe ich das Rad aus der Garage und folge dem „Ennsradweg“ in Richtung Salzburg. Schon nach wenigen Kilometern treffe ich einen ehemaligen Schulkollegen, der mich ganz erstaunt nach dem Ziel meiner Tour mit dem schwer bepackten Rad fragt. Etwas verlegen, führe ich Salzburg als erste Etappe an – und dann einmal schauen, wie weit ich komme. Die Mozartstadt an der Salzach ist bereits kurz nach Mittag erreicht, voll Elan geht es weiter durch den Flachgau. In Passau treffe ich auf die Donau und folge dem breiten Strom flussaufwärts bis Regensburg.

Im Vogtland und im Erzgebirge brennen die Steigungen in den Waden, die Tagesleistung schrumpft auf bescheidene 120 Kilometer. Aber: Mit keinem anderen Fortbewegungsmittel hat man einen so intensiven Kontakt mit der Umgebung und auch den Menschen. Immer wieder ergeben sich Gespräche nach dem Woher und Wohin.

Ab Chemnitz wird es wieder flacher. Vorbei an leuchtenden Rapsfeldern rolle ich nach Meißen, der schönen Porzellanstadt an der Elbe. Träge fließt der Fluss von Dresden kommend in Richtung Nordsee, er wird mich bis ans Ziel in Hamburg begleiten. Der Radweg führt durch grüne Auenlandschaften, ein Paradies für Vögel und Wildtiere. Auch Wittenberg, die bekannte Lutherstadt, liegt auf dem Weg.

Moin, Moin – Nach insgesamt 1310 gestrampelten Kilometern in Hamburg angekommen
Moin, Moin – Nach insgesamt 1310 gestrampelten Kilometern in Hamburg angekommen © RAFFALT

"Hinunter" nach Hamburg

Mit jeder Kurbelumdrehungen nähere ich mich dem Ziel: Die Elbmetropole wird gerne als Tor zur Welt bezeichnet, dabei liegt Hamburg gar nicht am Meer. Die drittgrößte Hafenstadt Europas ist nur über die Elbe mit der Nordsee verbunden. Die riesigen Schiffe müssen gut 110 Kilometer zurücklegen, um ins offene Meer zu gelangen.

Ein Fährmann versichert mir, dass es nicht mehr weit ist. Ich solle nur immer dem Fluss hinunter nach Hamburg folgen. Hinunter? Natürlich meint er, die Elbe fließt abwärts zur Nordsee. Ich bedanke mich für die wertvolle Information und muss schmunzelnd an meine Tochter denken. Jetzt habe ich die Antwort auf ihre Frage gefunden: Nach Norden geht es eindeutig abwärts.

Nach insgesamt 1310 gestrampelten Kilometern gönne ich mir in Hamburg ein paar radfreie Tage. Zurück nach Hause geht es dann ganz entspannt – mit dem Zug.