Wenn ihn Freunde von auswärts besuchen, weiß Edmund Lai, was kommt. „Jeder denkt bei Hongkong an Hochhäuser und Menschen, Menschen, Menschen. Aber sobald wir mit dem Seekajak rausfahren, wollen sie nicht mehr zurück.“ Lai (29) ist Kajak-Guide und liebt Paddeltouren durch die Inselwelten abseits der Megacity. Natürlich reist niemand nur wegen der Eilande hierher. Touristen kommen für den Panoramablick aufs Hochhausgewirr, den man vom Victoria Peak hat, Hongkongs Hausberg.

Sie kommen für die tägliche Skyline-Lichtshow „Symphony of Lights“, für Entertainment, für Shopping, für Kultur. Kurzum, sie kommen, um den Puls einer Weltmetropole zu fühlen. Doch wer davon Abwechslung und Ruhe sucht, bricht auf zu den kleinen Inseln im Südchinesischen Meer rund um Hongkong.

Cheung Chau: Geschichte und Göttliches

Ein malerisches Hafenbecken, ein Städtchen mit Gassengewirr, Strände, Entdeckungen zu Fuß und per Rad – das sind die Argumente für Cheung Chau, das mit einer Bucht voll bunter Boote empfängt. Einige Fischer leben noch immer an Bord. In der Jugend von Basil Hui (64) war das hier noch weit verbreitet: „Da wohnten ganze Familien drauf, das konnten zehn Leute sein“, sagt der Hobbyhistoriker von der Insel.

Das Fahrrad steht als Transportmittel der Wahl ganz oben. Die Entfernungen auf der 2,5-Quadratkilometer-Insel sind gering. Ostwärts dehnen sich zwei Sandstrände aus, Richtung Südwesten flankieren Orchideenbäume die Uferpromenade. Plötzlich versperren Treppen die Weiterfahrt. Also: Fahrrad abstellen, zu Fuß weiter am taoistischen Tempel für die Fischer- und Meeresgöttin Tin Hau vorbei, auf einem Betonpfad über der Küste die Ausblicke still in sich aufnehmend. Bei der Runde zurück zu den Rädern passiert man Häuser, vor denen Wäsche auf Bügeln trocknet. Hoch auf Mauern prangen Keramikfische mit Drachenköpfen als Beschützer.

An den Wochenenden füllt sich die Insel. Wer sie in Feierstimmung erleben will, folgt den Tipps von Basil Hui: Beim Laternenfest im Jänner, den Umzügen für Tin Hau im April und dem Drachenboot-Festival im Juni oder Juli ist hier am meisten los.

Die bunten Fischerboote im Hafen von Cheung Chau
Die bunten Fischerboote im Hafen von Cheung Chau © IMAGO/tak9189182005440

Sharp Island: Wie ein grüner Drachenrücken

Es ist einsam. Die Brandung an den Felsen und das Plätschern der Paddel im Wasser sind die einzigen Begleitgeräusche. Sharp Island buckelt sich auf wie ein grüner Drachenrücken. Ein Seekajak-Trip um die Insel startet beim Hafenort Sai Kung. Die Elf-Kilometer-Runde füllt einen Tag.

Guide Edmund Lai baut zwei Zugaben ein: einen Halt an der Open-Air-Skulptur „Mondaufgang bei Tageslicht“ und einen Abstecher zum Whiskey Beach auf der Nachbarinsel Kau Sai Chau. Der Traumstrand ist etwa 80 Meter breit, verschwindet bei Flut aber größtenteils. Im kristallklaren Wasser um Sharp Island wachsen Entenmuscheln auf Felsen. Schwarzmilane kreisen am Himmel. Im tiefen Einklang mit der Natur spürt Lai „das Gefühl von Freiheit“, wie er sagt.

Stopp auf Sharp Island: Die Skulptur hat den Namen „Mondaufgang bei Tageslicht“
Stopp auf Sharp Island: Die Skulptur hat den Namen „Mondaufgang bei Tageslicht“ © Andreas Drouve/DPA/APA

Peng Chau: Street-Art und Räucherspiralen

Der gemächliche Rhythmus des Lebens auf Peng Chau steckt an. In den verkehrsfreien Gassen verlangsamt man automatisch das Tempo – und auf den rund 350 Stufen zum Inselthron, dem 95 Meter hohen Finger Hill, sowieso. Peng Chau beschränkt sich auf einen Quadratkilometer. Gegenüber des Markts hängen Fische zum Lufttrocknen, vor einer Fleischerei liegen Hühnerfüße in einer Schale.

Auch Straßenkunst gibt es in Form von Collagen aus ausrangierten Handys und einer Farbwand mit einem davor drapierten Rad in Rotlackierung. Die riesigen Räucherspiralen in der Vorhalle des Tin-Hau-Tempels unweit des Fähranlegers könnte man für Hängelampen halten – würde nicht Asche auf Köpfe und Kleidung fallen.

Ideal für einen Tagesausflug: Die Insel Peng Chau ist nur einen Quadratkilometer groß
Ideal für einen Tagesausflug: Die Insel Peng Chau ist nur einen Quadratkilometer groß © Hong Kong Tourism Board

Po Toi: Auf zu Mönch und Schildkröte

Fischerhäuschen statt Wolkenkratzer, Wellenrauschen statt Verkehrslärm – Hongkongs südlichste Insel Po Toi ist ein weiterer autofreier Kosmos unter den Eilanden. An der Bucht, wo die Fähre einläuft, liegt das einzige Dorf. Ein beschilderter Betonweg verläuft parallel zur zerklüfteten Küste und steigt zu Felsformationen namens Mönch und Schildkröte an. Ein Abzweig führt vor eine Felswand mit mehr als 3000 Jahre alten Gravuren.

Candy Lau Kam Lin (66) profitiert davon, dass der Weg auch genau durch ihr kleines Lokal führt. Dort tischt sie für umgerechnet knapp zwei Euro eine kalte, süße Suppe aus Mungbohnen auf, die sie mit Gartenraute und getrockneten Algen verfeinert.

Autos fahren hier nicht, Fischerboote natürlich schon: So empfängt Po Toi, Hongkongs südlichste Insel
Autos fahren hier nicht, Fischerboote natürlich schon: So empfängt Po Toi, Hongkongs südlichste Insel © Hong Kong Tourism Board

Tung Ping Chau: Bilderbuch der Geologie

Fast zwei Stunden braucht die Fähre zu Hongkongs entlegenster Insel. Tung Ping Chau ist ebenfalls autofrei. Hier öffnet sich ein Bilderbuch der Geologie, mit Pfannkuchenfelsen, deren Maserungen zwischen Rostbraun, Gelb und Ocker changieren. Für den Inselrundweg sollte man vier Stunden einplanen.

Die Megacity, sie ist hier weit weg: Eine Brise raschelt in Bambushainen. Schmetterlinge tanzen. Die Luftwurzeln eines Banyanbaums legen sich wie Tentakel um ein verfallenes Haus. Und im Tin-Hau-Tempel, von dem es auch auf dieser Insel einen gibt, begegnet man der Meeresgöttin als vollendeter Schönheit.

Steinalte Zeitzeugen auf der Insel Tung Ping Chau
Steinalte Zeitzeugen auf der Insel Tung Ping Chau © IMAGO