"Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen“, heißt ein Buch, das Sie herausgegeben haben. Warum lügen die Preise?

BERNWARD GEIER: Die Preise basieren auf einer Milchmädchenrechnung und lügen, weil sie die Kosten der Lebensmittelproduktion nicht internalisieren ...

Was heißt das konkret?
Was der Konsument auf dem Kassenzettel im Diskonter oder Supermarkt sieht ist nicht die ganze Rechnung. Es ist die Schuldenlast der Natur nicht einkalkuliert, nicht die Krankenkassenbeiträge, die wegen der Gesundheitsbelastung durch unser Essen höher werden. Da reden wir vom Pestizideinsatz in der konventionellen Landwirtschaft, von der Nitratbelastung der Böden, des Grundwassers ...

Das ist freilich auch ein Phänomen, dass wir aus den Klimaschutzdiskussionen vom Reisen kennen: Der Zug ist für relativ kurze Strecken bisweilen teurer als so mancher Flug in eine fernere Metropole ...
Ja, das ist das gleiche Problem, das sich mit einer entsprechenden Kerosinsteuer erledigen würde. Dann hörte sich die Perversion auf, fürs Weihnachtsshopping ein Wochenende nach New York zu fliegen. So wie hier müsste die Politik auch bei der Lebensmittelproduktion das Prinzip „der Verschmutzer zahlt“ anwenden.

Also wer ist nun Schuld an dem Henne-Ei-Dilemma. Der Handel, der den Preis drückt, oder der Konsument, der zu Billigware greift?
Ich rede nicht von Schuld, ich rede von Verantwortung. Es braucht mehr als einen Lösungsansatz. Der erste ist, wie gesagt, Fall für die Politik. Dann brauchen wir eine neue Generation von Ökonomen, die ein Verständnis für das Internalisieren der Kosten bei Produktion und Verarbeitung entwickeln. Und natürlich muss der Konsument von der Geiz-ist-geil-Mentalität wegkommen.

Sieht man sich den Ansturm auf Aktionskoteletts an, zweifelt man ein wenig am Verantwortungsbewusstsein des Konsumenten.
Umfragen zeigen, dass es eine große Bereitschaft gibt, etwa für Bio mehr zu zahlen und auch Qualität einzukaufen. Ich sage ja auch immer, dass der Kunde König ist, er muss aber den Handel damit konfrontieren, dass er gar nicht den billigsten Ramsch angeboten bekommen will. Er muss sich politisch einmischen, er hat den Machthebel die aktuelle Kalkulation bei Produktion und Verarbeitung zu ändern. Denn da geht es nur um den günstigsten Preis, koste es was es wolle ...

Welche Kosten?
Jene die durch den Chemieeinsatz in einer auf Masse ausgerichteten Landwirtschaft. Man kann nicht leugnen dass diese Rationalisierung greift, aber eben auf Kosten von Grundwasser und Gesundheit. Die fehlende Biodiversität aufgrund der Monokulturen lässt keinen Platz mehr für Schmetterlinge.

Trotzdem melde ich Zweifel am Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten an, wenn sie sich um Koteletts um 3,99 Euro fürs Grillwochenende reißen ...
Ja, der Kunde ist ein gespaltenes Wesen. Er kauft sich eine Designerküche um 25.000 Euro oder einen Griller um 1000 Euro und legt dann Billigstfleisch darauf. Deshalb muss man ja das Bewusstsein für die Kostenwahrheit schärfen.

Studien zeigen, dass die Österreich heute nur noch 11,8 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke ausgeben. 1950 waren es noch 45 Prozent? Sind Lebensmittel zu billig, um noch etwas wert zu sein. Fehlt uns die Wertschätzung?
Natürlich verschieben sich die Prozentsätze, wenn man sich ansieht, wie teuer heute das Wohnen schon ist. Aber es stimmt schon, das ist Teil des Problems. Bei einem Joghurt um 29 Cent gibt es keine Wertschätzung, das landet rasch einmal abgelaufen und ungeöffnet in der Tonne. Jeder Deutsche wirft heute pro Jahr schon Lebensmittel im Wert von 58 Euro weg. Man sieht dieses Problem des Überflusses allein schon an der Größe der Kühlschränke, die wir daheim haben.

Trotzdem grassiert die Aktionitis weiter, werden in Österreich rund 30 Prozent als Aktionsware verkauft. In Deutschland sind das nur zehn Prozent. Essen Deutsche besser?
Nein, ich fürchte wir sind da schon in Eure Richtung unterwegs und in Deutschland gibt es eine Dominanz der Diskonter, die ja praktisch alles zum Aktionspreis verkauft.

Bio-Skeptiker fragen oft, wie man denn mit Bio-Landwirtschaft die Welt ernähren könnte, gerade auch weil durch den Siedlungsdruck und Bodenversiegelung immer mehr gute Agrar-Böden vernichtet werden. Was ist Ihre Antwort darauf?
Ich kenne diese Hungerfrage aus unzähligen Diskussionen und habe da eine radikale Meinung: Wir haben nicht die Aufgabe, die Welt zu ernähren. Die Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen in ihrer Heimat versorgen können. Die Wahrheit ist doch: Es gibt auch heute ein riesiges Hungerproblem, obwohl wir weltweit so viele Lebensmittel produzieren, dass es für einen Tagesbedarf von 2500 Kalorien für die ganze Weltbevölkerung reichen würde. Aber wir werfen viel weg. Im Süden fehlt es an Infrastruktur und es gibt Verluste von Nahrungsmittel durch Ausfälle der Kühlkette oder durch Ratten. Und selbst wenn es mit dem Transport klappt, können sich viele Menschen dann das Essen nicht leisten.

Trotzdem bleibt die Skepsis auch vieler konventioneller Landwirte, die sagen, ich kann mir den Umstieg auf Bio nicht leisten. Etwa weil sie fürchten nicht genügend Erträge erwirtschaften zu können, oder weil sie gerade in einen modernen Stall für Tausende Mastschweine investiert haben.
Ich kann dazu nur sagen, ich kenne keinen einzigen Biobauern, der Pleite gemacht hätte, aber sehr viele konventionelle. Und als die Politik sich drübergetraut hat, die Käfigeier zu verbieten, hat man diese Umstellung auch geschafft. Ich bin ja dafür, dass wir die Kennzeichnung der Eier nun auch für Fleisch endlich übernehmen.

Also 0 für das Bio-Freilandei, 1 für das Freilandei, 2 für Bodenhaltung ...?
Ja, mit dem Slogan „kein Ei wie 3“ erreicht man schnell, dass keiner mehr Käfigeier kauft. Beim Fleisch würde sehr bald auch keiner mehr „Käfighaltung-Fleisch“ essen wollen. Der Preis würde steigen, die Verantwortung der Konsumenten, die vielleicht dann wieder zum Sonntagsbraten, also Fleisch nur einmal die Woche zurückkehren. Es wird ja auch beim Fleisch in die Kosten nicht eingerechnet, was da für ein unglaublicher Wasserverbrauch für ein Stück Fleisch zusammenkommt kommt.

Es gibt auch noch ein anderes, etwas älteres Buch, das sich nicht mit lügenden Preisen, sondern mit dem Bild der Bio-Landwirtschaften auseinandersetzt. Der Agrarbiologe Clemens G. Arvay zeichnete 2012 darin ein erschütterndes Bild, das zeigt, dass der Preisdruck des Supermarktregals und der Aufstieg von Bio in den Massenmarkt die Produktionsbedingungen jenen der konventionellen immer ähnlicher macht.
Ja, das ist ein Autor, der gerne zu Überspitzung und Skandalisierung greift, um Aufsehen zu erregen.

Dennoch liest man von einer Bio-Welt der automatischen Vogelnester, von Kükenfließbändern und Todeskarussellen. Eine steirische Landwirtin, die Bio-Legehennen hält, resümiert: Vor 20 Jahren begannen wir als unabhängige Bauern mit 500 Hennen und konnten ein volles Einkommen damit erwirtschaften. Heute haben wir 3000 Tiere im Stall.“
Natürlich besteht die Gefahr, dass Bio aufgrund der starken Nachfrage in die Konventionierungsfalle tappt. Unsere Werte dürfen nicht unter die Räder des Massenmarktes und seiner Gesetze kommen. Wir müssen auch mit dem Handel faire Preise verhandeln. In Deutschland ist Bioland, also unserem Bio-Verband, gelungen mit einem großen Diskonter eine Vereinbarung zu treffen: Sie beinhaltet eine langfristige Bindung mit Preisschutz für die Bauern. Und bei Verstößen gibt es ein Schiedsgericht und einen Ombudsmann. Wir sind da in einem Spannungsfeld, dass sich durch die Gemeinwohlökonomie auflösen ließe.

Wie, in einem kurzen Satz?
Diese Ökonomie ordnet nicht alles dem absoluten Profit unter. Es werden Gewinne erwirtschaftet, aber es gibt auch eine teilweise Zweckbindung der Mittel, die dem Gemeinwohl dienen.

Beim Einkauf stellen sich viele Konsumenten, die an ihrem Verantwortungsbewusstsein arbeiten, die Frage: Ist Bio immer besser, oder sollte man in gewissen Fällen saisonal/regional den Vorzug geben?
Bevor man Bio-Import kauft, der aus fernen Ländern kommt, ist regional sicher besser, wenn die Qualität stimmt. Aber: Scheiß bleibt immer Scheiß, auch wenn er regional ist.