Die Sitten sind bisweilen rau im digitalen Kosmos, Emotionen treffen auf Meinungen und nicht selten fügen sich beide zu einem unkontrollierten Ausbruch des Hasses. Nun könnte die heimische Politik den Riegel vorschieben: Schon im Herbst sollen bei einem Gipfeltreffen die Möglichkeiten juristischer Vorgehensweisen wie der Verschärfung des "Verhetzungsparagrafen" oder die Einführung einer "Klarnamenpflicht" ausgelotet werden. Experten warnen: Das Ende der Anonymität würde nur ein Symptom, nicht aber die Ursache der Internet-Hetze bekämpfen.

+ - "Die Medienmacher stehen in der Pflicht" Thomas Philipp, Sozialwissenschaftler: Pauschal kann eine Aufhebung der Anonymität im Internet nicht ernsthaft gefordert werden. Es gehen einfach zu viele Vorteile mit einer anonymen freien Meinungsäußerung einher - man denke nur an Anonymous oder Wikileaks. Außerdem zu bedenken: Wir sprechen hier nicht nur von österreichischem Recht, das betroffen wäre. Intensiver fragen sollten wir hingegen nach der Verantwortung der Medienherausgeber. Wenn etwa die Kleine Zeitung einen anonymen Brief einer Leserin erhält, der verhetzende Aussagen beinhaltet: Wie geht sie damit um? Und wenn es sich um ein Posting im Forum handelt? Und warum ist das im sozialen Internet anders?

+ "Niemand ist heute mehr wirklich anonym" Julya Rabinowich, Schriftstellerin: Anonymität macht ungreifbar. Anonymität enthemmt, ermöglicht, verführt. Verknüpft und distanziert gleichzeitig. Anonymität fordert neue Medien heraus und prägt sie. Anonymität ist sowohl für Whistleblower als auch für Hetzer ein durchaus guter Nährboden, Opferbringen ist bekanntlich schwerer als Opfermachen. Die Hetzer sind also in der massiven Überzahl, leider nicht die offensichtlich bitter nötigen Whistleblower. Apropos Letzere: Wer glaubt zu Zeiten von NSA eigentlich noch, wirklich anonym zu sein? Anonymität gibt es so wie die Justiz und die Medizin in zwei Klassen: die, die wirklich anonym bleiben, und jene, die sich der Illusion hingeben, anonym zu sein.

- "Der Schutz von Privatsphäre wird zum Problem" Peter Plaikner, Medienberater: Moralische und ethische Ansätze unterliegen im Netz ohnehin der technischen Machbarkeit. Unter dieser Einschränkung bin ich gegen die Anonymität von persönlichen öffentlichen Äußerungen im Internet, aber auch gegen das Ausspionieren der passiven privaten Nutzung von Online-Angeboten. So widerlich - ein vielfach nicht einmal anonymisierter - Shitstorm auch sein mag: Der mangelnde Schutz von Privatsphäre wirkt als ein mindestens ebenso großes Problem. Auch hier geht es in erster Linie um eine neue Bewusstseinsbildung und die Rückbesinnung auf so simple Übereinkünfte wie das Briefgeheimnis.

+ "Es droht eine Selbstbeschränkung im Kopf" Georg Holzer, Internet-Unternehmer: Dass sich zu viele hinter dem Deckmantel der Anonymität verstecken und Rotz im Internet absondern, zeigt deutlich, wie wenig der Wert von Anonymität - etwa zur Verfolgung von Korruption - geachtet wird. Aber wo steht danach die Grenze und kommt es bei einer Verschärfung zu einer Selbstbeschränkung im Kopf? Würde noch jemand wagen, einen Politiker als inkompetent zu bezeichnen, wenn darauf Strafe droht? Auf Facebook stehen viele zu ihrer Meinung, und wenn diese nicht mehr frei wäre, müsste man sie analog auch an Stammtischen verbieten. Untergriffe und Beleidigungen sind abzulehnen. Dafür brauchen wir aber keine strengeren Gesetze, die bestehenden sollten eigentlich ausreichen.

+ "Hassposter sollte man ignorieren" Heinz Wittenbrink, FH Joanneum: Anonymität im Internet ist ein hohes Gut. Sie macht es allen möglich, die eigene Meinung frei zu sagen. Und wie unter einer Maske kann man sich anonym selbst ausprobieren, kann man bestehende Regeln und Ordnungen infrage stellen. Wer Anonymität verbieten will, misstraut der Freiheit des Einzelnen. Im Internet lässt sich Anonymität nur durch einen digitalen Polizeistaat unterdrücken, und auch dies - zum Glück - nicht völlig. Dass Anonymität grundsätzlich möglich sein muss, heißt aber nicht, dass sie überall sinnvoll ist. Eine freie Gesellschaft braucht freie Meinungen. Anonymen Hasspostern begegnet man am besten, indem man sie ignoriert.

+ "Hilft nur jenen, die sich einen Anwalt leisten" Judith Denkmayr, Social-Media-Expertin: "Anonym" sind wir im Internet sowieso nicht. Wenn von "Anonymität" die Rede ist, sind "Pseudonyme" gemeint. Dass der reale Name nicht von Verleumdungen, Beleidigungen und Hetzerei abhält, zeigt das User- verhalten auf Facebook, etwa in den Fällen Heinisch-Hosek und Bundeshymne. Sollte sich die Rechtslage verschärfen, könnte sich etwas entwickeln wie der "Recht auf Vergessen"-Beschluss im Falle Googles: Unternehmen wären die Ersten, die unangenehme Bewertungen rechtlich unterbinden würden. Ein Vorgehen gegen Hassposter wäre jenen vorbehalten, die sich einen Anwalt leisten können.

+ Hassbotschaften lassen sich nicht verhindern" Claudia Schäfer, Zara-Institut für Zivilcourage und Rassismus-Arbeit: Die Möglichkeit, auch anonym im Internet aktiv zu sein, sollte meiner Ansicht nach bleiben. Hassbotschaften lassen sich durch ein Verbot nicht verhindern, zudem gewährleistet Anonymität denen, die Unrechtssysteme unter Umständen nur über das Netz aufdecken können, auch einen gewissen Schutz. Das eigentliche Problem mit Hassbotschaften sind die Inhalte selbst und natürlich die dahinterstehenden diskriminierenden und verhetzenden Sichtweisen und Absichten. Die ändern sich nicht, nur weil sich User zu erkennen geben müssen. Außerdem gibt es einfach zu viele Wege der Verschleierung.