Nicht zu überhören ist, dass Shahrokh Shariat, Leiter der Klinik für Urologie an der MedUni Wien, 16 Jahre in den USA gelebt und geforscht hat: Wörter wie Gender Gap (Kluft zwischen den Geschlechtern), Cancer Care (Krebs-­Versorgung) oder Inequality (Ungleichheit) mischen sich mit amerikanischem Anstrich in seine eloquenten Ausführungen. Seine Kernaussage ist: Wir müssen besser darin werden, Männer zur Gesundheit zu bringen. Denn gerade in der Krebsvorsorge sei der Mann das Geschlecht zweiter Klasse.

Dass es in der Medizin eine Kluft zwischen den Geschlechtern gibt, ist mittlerweile bekannt – in vielen Fällen geht diese Kluft jedoch zulasten der Frauen. Medikamente wurden lange Zeit nur an Männern getestet, Leitlinien nur entsprechend männlichen Krankheitsbildern oder Symptomen entwickelt. Shariat aber sagt: „Bei der Krebsversorgung, da sind Männer benachteiligt – auch in Österreich.“

Männer besser erreichen

Das liege daran, dass Männer auf die Standard-Modelle in der Versorgung schlechter ansprechen: Männer gehen weniger oft zu Vorsorge-Untersuchungen, sie halten sich weniger gut an die Therapie-Vorgaben. „Wir bringen unsere Informationen nicht optimal an den Mann“, sagt Shariat – doch anstatt da­ran etwas zu ändern, begnüge man sich mit der Aussage: Männer sind eben Vorsorgemuffel. Für Shariat ist das zu wenig: Im Sinne der Bevölkerungsgesundheit müsse man Wege finden, Männer besser zu erreichen.„In den westlichen Ländern leben Männer im Durchschnitt sechs Jahre kürzer als Frauen“, sagt Shariat – die Hälfte davon, also drei Jahre, lassen sich durch biologische Unterschiede erklären. Die andere Hälfte jedoch gehe zurück auf Dinge, die sich verändern lassen: Lebensstil, risikoreiches Verhalten, strukturelle Faktoren im Gesundheitswesen. „Außer beim Blasenkarzinom steigt der Mann bei den häufigsten zehn Krebserkrankungen schlechter aus als die Frau“, zeigt Shariat auf.

"Der harte Mann schaut auf sich"

Das Thema Vorsorge sei zeitkritisch: „Wir müssen früh beginnen“, unterstreicht Sharia. Dass Männer mit 45 Jahren zur Prostata-Untersuchung gehen sollen, sei ein Ansatz. Dass Männer schon ab 45 zur Darmkrebs-Vorsorge sollten, ist die Erkenntnis neuester Daten – tatsächlich müsste ein gesunder Lebensstil aber viel früher beginnen: gesund essen, nicht rauchen, Sport machen. „Schaffen wir es, sehr früh im Leben ein Gesundheitsbewusstsein zu etablieren, können wir diese Themen auch früh abfangen.“



Dazu müssen sich aber auch Bilder in der Gesellschaft verändern: „Bisher sieht das Image des ‚harten Mannes‘ so aus: Ich lebe risikoreich, ich verhalte mich unvernünftig“, sagt Shariat. Stattdessen müsse sich die Einstellung durchsetzen: Der harte Mann schaut auf sich und seine Gesundheit. Um das zu erreichen, brauche es die richtigen Botschaften. „Wie können wir Gesundsein sexy machen?“, ist für Shariat die zentrale Frage. Initiativen wie „Movember“ oder der „Distinguished ­Gentleman’s Ride“ setzen dort an – sie verbinden Gesundheitsvorsorge mit etwas Coolem. Doch Mann ist nicht gleich Mann – laut Shariat brauche es vielschichtige Botschaften, um möglichst viele zu erreichen.

Keine Krebsvorsorge für den Mann

Das eine Konzept, das für alle passt, das gibt es auch in der Krebstherapie nicht. „Jeder Patient braucht basierend auf seiner Diagnose, seinem Tumor, auf Basis seiner Lebensumstände und seiner Ansprüche jene Therapie, die auf ihn zugeschnitten ist“, sagt Shariat. So sei für einen Mann Anfang 40, der Vater kleiner Kinder ist und an Prostatakrebs erkrankt, das wichtigste Ziel, völlig gesund zu werden, um für seine Kinder da zu sein. Ein anderer Mann hingegen will auf keinen Fall die Fähigkeit verlieren, eine Erektion zu haben. Nach diesen Lebenskonzepten müsse sich die Therapie ausrichten.

„Wir Urologen kämpfen seit Jahrzehnten für die Früherkennung, wir haben das mit unzähligen Studien belegt: Früherkennung senkt die Sterblichkeit beim Prostata-Karzinom“, sagt Shariat – wichtig sei nur, dass das Screening auch „smart“, also intelligent sei. Sinnvoll wäre ein strukturiertes Programm, mit klaren Richtlinien, wie nach einem auffälligen Ergebnis vorzugehen ist – so wie es im Mammografie-Screening für Frauen passiert. „Wir Männer haben kein Früherkennungs-Programm“, empört sich Shariat, „can you believe it?“