Zeitung lesen, die Nachrichten anschauen oder sich durch die sozialen Medien zu klicken – das ist für einen Teil der Bevölkerung im vergangenen Jahr mit einem unangenehmen Gefühl und oft sogar Angst verbunden. Grund dafür können die Bilder von Spritzen sein, die seit Beginn der Coronaimpfungen scheinbar überall auftauchen.

Rund drei bis vier Prozent der Österreicherinnen und Österreicher leiden unter einer Blut-Verletzungs-Injektionsphobie (BVI). Dabei ist die Angst überangepasst und kann zu heftigen Reaktionen führen – etwa, wenn man eine Spritze sieht, oder gar selbst einen Stich gesetzt bekommen soll. Die Angstreaktion bei der BVI-Phobie kann sogar zu Ohnmacht führen. Der Ursprung dafür ist evolutionär bedingt, erklärt Johannes Rother. Er ist Psychologe bei Phobius – einem Zentrum für die Behandlung von Phobien.

Angst hilft dem Menschen beim Überleben. Dazu, dass es bei dieser Phobie zur Ohnmacht kommen kann, gibt es zwei Theorien: Einerseits wird bei dieser Reaktion der Blutdruck abgesenkt. Das könnte das Ziel haben, im Fall einer Verletzung größeren Blutverlust zu verhindern. Andererseits könnte auch das Ziel, sich totzustellen, dahinter stehen.“

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Ohnmacht

Die Ohnmacht ist dabei eine Besonderheit der BVI-Phobie. Bei anderen Phobien kommt sie nicht vor. „Wenn die Betroffenen in die Situation hineingehen, kommt es zu einer sympathischen Aktivierung im Körper. Dabei ist der Blutdruck erhöht. Beim Setzen der Nadel oder auch beim Herausziehen wird dann aber das parasympathische System aktiviert. Dabei sinkt der Blutdruck plötzlich stark ab, was die Ohnmacht zur Folge haben kann“, erklärt der Experte.


Doch warum kommt es bei manchen Menschen zu diesen heftigen Reaktionen, obwohl – etwa durch einen kleinen Stich – keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht? „Es liegt immer eine Kombination verschiedener Faktoren vor. So sind etwa genetische Faktoren bei der Blut-Verletzungs-Injektionsphobie relativ hoch“, so der Psychologe. Metaanalysen gehen davon aus, dass rund 70 Prozent dieser Phobien auf Veranlagung zurückgehen. „Nur weil man die genetische Veranlagung hat, muss dann noch keine Phobie entstehen. Ausgelöst wird diese meist durch ein Ereignis, wie etwa ein negatives Erlebnis beim Arzt.“

Vermeidung von Situationen 

Menschen, die an Phobien leiden, neigen dann dazu, Situationen zu vermeiden, in denen die Angstreaktion erwartet wird. Im Fall der BVI-Phobie kann das so weit gehen, dass ärztliche Untersuchungen und Behandlungen ausgelassen werden. Eine Studie aus Großbritannien zeigte vor Kurzem, dass bei rund zehn Prozent der Ungeimpften eine solche Phobie ein Grund für deren Impfstatus ist. Das Problem: „Die Vermeidung der Situation verstärkt die Phobie zusätzlich. So bekommt die Angst Legitimation und kann weiter wachsen“, sagt Rother.

Die Angstsymptome können bei den einzelnen Betroffenen sehr unterschiedlich ausfallen. Neben der Ohnmacht kann es auch zu Herzklopfen oder -rasen sowie Schweißausbrüchen und Nervosität kommen. Die gute Nachricht: Phobien – und somit auch die BVI-Phobie – sind gut behandelbar. In der Therapie setzt man dabei auf schrittweise Konfrontation: „Davor ist es wichtig, die Betroffenen genau aufzuklären – auch darüber, was in ihren Körpern passiert. Zusätzlich können Übungen – wie die angewandte Anspannung – eingelernt werden, mit denen die Ohnmacht verhindert werden kann“, erklärt Rother.

Schnelle Erfolge möglich

Sind die Patientinnen und Patienten dann so weit, wird sich mit der spezifischen Angst auseinandergesetzt. Handelt es sich etwa um Angst vor Spritzen, werden die angstauslösenden Situationen zuerst in Gedankenexperimenten durchgespielt. Danach arbeitet man mit Bildern und Videos. „Infolge kann virtuelle Realität eine gute Methode sein, um die Betroffenen mit der angstmachenden Situation zu konfrontieren. Erst dann folgt die tatsächliche Konfrontation. Je nach Schweregrad kann man oft schon nach zehn Sitzungen große Erfolge sehen“, sagt der Psychologe.