Im ersten Lockdown war alles anders. So auch im medizinischen Bereich. Aus vielen Fachrichtungen konnte man hören, dass Patienten seltener zu wichtigen Untersuchungen auftauchten – wohl meist als Angst vor einer Ansteckung. „Daher war auch die Sorge groß, dass Schlaganfallpatienten auf der Strecke bleiben“, sagt Thomas Gattringer von der Universitätsklinik für Neurologie der Med Uni Graz. Denn der Schlaganfall ist die zweithäufigste Todesursache in der westlichen Welt und der häufigste Auslöser für eine bleibende Behinderung im Erwachsenenalter. Gemeinsam mit dem Herzinfarkt ist der Schlaganfall der häufigste Grund, warum Notaufnahmen aufgesucht werden.

Für die ganze Steiermark

Aus der frühen Phase der Pandemie konnte man beispielsweise von Neurologen aus Italien hören, dass sie so gut wie keine Schlaganfallpatienten mehr zu Gesicht bekommen. Um festzustellen, wie gut die Schlaganfallversorgung in der Steiermark während des ersten Lockdowns funktioniert hat, hat ein Team rund um Thomas Gattringer und Christian Enzinger Daten aus allen KAGes-Spitälern, die neurologische Akutpatienten betreuen, erhoben. „In der Steiermark gibt es eigentlich keine privaten Spitäler, die akute Schlaganfallpatienten aufnehmen. Daher war es repräsentativ, sich die genannten Krankenhäuser anzuschauen“, sagt der Neurologe.

Erhoben wurde dabei, wie viele stationäre Aufenthalte als Folge eines Schlaganfalls es im Zeitraum von März bis inklusive Mai 2020 gab. Verglichen wurde dieser Zeitraum mit den vier vorhergehenden Jahren. Dabei wurden unter anderem Patienten mit der häufigsten Form des Schlaganfalls – dem ischämischen Schlaganfall – erhoben. Bei dieser Form kommt es zu einer Minderdurchblutung des Gehirns aufgrund eines Gefäßverschlusses durch ein Blutgerinnsel. Der ischämische Schlaganfall kann mittlerweile bei rascher Vorstellung der Patienten sehr effizient behandelt werden, indem man entweder Medikamente zuführt, die das Blutgerinnsel auflösen, oder man mit Kathetertechniken das verschlossene Gefäß wieder eröffnet. Außerdem fasste man im Rahmen der Erhebung auch Betroffene mit Hirnblutungen oder sogenannten TIAs (transienten ischämischen Attacken) ins Auge.

Darum sind Hirnblutungen und TIAs so gefährlich 

Als TIAs bezeichnet man eine kurzzeitige Durchblutungsstörung im Gehirn. „Diese reicht noch nicht aus, um einen manifesten Schlaganfall auszulösen. Allerdings bringen TIAs ein hohes Risiko mit sich, dass die Betroffenen in den nächsten Tagen bis Wochen einen ischämischen Schlaganfall erleiden“, so der Experte. Die Durchblutungsstörung äußert sich etwa durch eine kurzzeitige halbseitige Schwäche im Arm oder Bein sowie Sprach- oder Sehstörung. Die Hirnblutung hingegen ist die schwerste Form des Schlaganfalls. Dabei platzt ein Gefäß im Gehirn und es kommt zu heftigsten Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen bis zum Koma und schwersten motorischen Ausfällen.

Im Hinblick auf den ischämischen Schlaganfall gab es eindeutige Ergebnisse: „Es zeigte sich, dass es beim typischen Schlaganfall keine wesentlichen Änderungen gab. Es wurden vergleichbar viele Patienten behandelt, wie auch die Jahre zuvor. Das ist für uns sehr wichtig, weil wir zeigen konnten, dass in dieser herausfordernden Pandemiezeit eine adäquate Akut-Versorgung möglich war“, sagt Gattringer. Anders als in anderen Ländern der Welt habe es in der Steiermark auch immer noch genug Bettenkapazitäten für Schlaganfallkrankenhausaufnahmen und entsprechende Untersuchungen gegeben.

Angst vor Ansteckung 

Betrachtet man die Auswertung der TIAs und Hirnblutungen zeigt sich allerdings ein anderes Bild: In der Zeit von März bis Mai 2020 kamen deutlich weniger Patienten mit diesen Erkrankungen ins Spital: „Eine mögliche Erklärung in Hinblick auf die TIAs ist, dass die Patienten in diesen Fällen seltener einen Arzt aufgesucht haben“, so der Experte. Gründe dafür können etwa eine zurückgegangene Verfügbarkeit, aber auch Angst vor Ansteckung gewesen sein.

Bei Hirnblutungen hält diese Erklärung nicht: „Die Symptome sind so stark, dass damit niemand einfach zu Hause bleiben würde. Auch die Weiterversorgung wäre im privaten Raum nicht möglich“, sagt Gattringer. Die bisher wahrscheinlichste Erklärung ist also, dass Hirnblutungen in dieser Zeit tatsächlich weniger häufig vorkamen. „Hirnblutungen werden fast immer durch vorausgegangene Blutdruckkrisen ausgelöst. Die kleinen Hirngefäße können dem mechanischen Stress, der vom Blutdruck erzeugt wird, dann nicht mehr standhalten und es platzt ein Gefäß“, sagt der Neurologe. Da Blutdruckkrisen sehr oft von Stress ausgelöst werden, gehen Experten davon aus, dass das totale Herunterfahren im ersten Lockdown bei vielen Menschen (beruflichen) Stress reduziert hat und es daher zu weniger solchen Fällen kam.