Bereits seit mehreren Wochen zeigt sich in Tirol eine beunruhigende Entwicklung: Es treten verstärkt Covid-19-Infektionen mit einer Virusvariante auf, bei der die sogenannte E484K-Mutationnoch zusätzlich zu jenen Veränderungen präsent ist, die die britische Variante (B1.1.7) trägt. Mittlerweile scheint es rund 1.800 derartige Fälle zu geben, von denen rund 800 aktiv sind, so Experten. Gleichzeitig nimmt der Impfwille der Tiroler ab. 

Ansteckender als der Vorgänger

Die E484K-Mutation bewirkt eine Änderung, die es für das Virus leichter macht an den Zellen anzudocken und in diese einzundringen. Diese Mutation ist bereits von der südafrikanischen Virusvariante (B1.351) und der brasilianischen Variante (P.1) bekannt. Hier handelt es sich um eine sogenannte "Fluchtmutation".

"Das heißt, dass Viren mit dieser Mutation unter Umständen schlechter von Impfseren neutralisiert werden und auch leichter zu Reinfektionen führen", so der Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM). Er hatte schon vor Wochen vor der neuen Variante gewarnt.  "Die Kombination der ursprünglichen britischen Virusvariante B1.1.7 und der Zusatzmutation E484K zeigt eine erhöhte Infektiosität und deutlich schwerere Krankheitsverläufe als die britische Variante B1.1.7. ohne E484K-Mutation", heißt es in einem vergangene Woche von der AGES publizierten Bericht.

Kommt die Mutation aus Österreich? 

In Tirol macht die Variante in der Vorwoche mit knapp 600 Fällen bereits rund 50 Prozent der auf Varianten untersuchten Fälle in Tirol aus. Mittlerweile liegen die auf Basis von PCR-Daten ermittelten Werte schon deutlich höher, nämlich bei bis zu 1.800 vermuteten Fällen. Außerhalb Tirols habe man in Österreich hingegen erst sechs Nachweise dieser Mutation. Daher muss man in Tirol sehr genau schauen, wie sich das weiterentwickelt", sagte Bergthaler.  Es spreche einiges dafür, dass die Variante tatsächlich in Österreich entstanden ist.

Virologe Andreas Bergthaler
Virologe Andreas Bergthaler © cemm/franzi kreis

Man müsse aber das Varianten-Überwachungssystem insgesamt weiter ausbauen, weil vor allem auch in Richtung Herbst mit weiteren möglichen Fluchtmutationen zu rechnen ist. "Je früher man reagiert, wenn das erst regional auftritt, desto eher kann man noch versuchen das in irgendeiner Form festzuhalten", so Bergthaler. 

Warum immer in Tirol? 

Dass all das wieder in Tirol abläuft, sei einerseits "auch Pech" und hänge vermutlich mit der geografischen Lage, der hohen regionalen Mobilität, der vermutlich schon recht hohen Durchseuchungsrate, die neue Varianten begünstigt, aber andererseits offenbar auch mit einer gewissen politischen Sorglosigkeit zusammen, vermutet Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW: "Wir brauchen einen Automatismus, um gleich, wenn so etwas passiert, Konsequenzen zu ziehen, solange es noch nicht schmerzt." Ein langes Wegschauen führe sonst weiter in die bekannte Spirale, an deren Ende immer einschneidende Maßnahmen stehen. "Testen alleine reicht nicht mehr, Zeit für verordnete Kontaktreduktion", twitterte der Experte zuletzt.

Reutte: Wenn es plötzlich schnell geht 

Wie rasch sich das Infektionsgeschehen in der Corona-Pandemie ändern kann, zeigt sich am Beispiel des Bezirks Reutte im nordwestlichen Tirol. Vor sechs Wochen war das Außerfern mit seinen knapp 33.000 Einwohnern mit drei Infizierten und einer Sieben-Tages-Inzidenz Abstand von 9,1 österreichweit der am Besten da stehende Bezirk. Aktuell hält man bei 204 aktiven Fällen und einer Sieben-Tages-Inzidenz von 325,8, dem drittschlechtesten Bezirkswert in ganz Österreich.

"Es trifft zu, dass die Corona-Zahlen im Bezirk Reutte innerhalb von wenigen Wochen stark angestiegen sind. Die genauen Ursachen dazu können nur vermutet werden. Einen Beitrag dazu leistet sicher auch das Mutationsgeschehen, das auch im Bezirk Reutte - wie auch im Rest von Österreich - sehr hoch ist", teilte Bezirkshauptfrau Katharina Rumpf am Donnerstag auf APA-Anfrage mit. Stark betroffen seien in letzter Zeit auch Schulen und Kindergärten, "weshalb in den betroffenen Schulen auch auf Distance Learing bzw. in den Kinderbetreuungseinrichtungen auf Notbetrieb umgestellt wurde", meinte Rumpf in einer Stellungnahme.

Freizeitgestaltung und Arbeitsplatz als Risikofaktor

Bei 53 aktiven Fällen hält man gegenwärtig im Bezirkshauptort Reutte. Bürger der Marktgemeinde mit rund 7.000 Einwohnern berichteten in den vergangenen Tagen der APA von vermehrten Familientreffen und Zusammenkünften größerer Gruppen, bei denen nicht immer auf die Regeln zum Schutz vor einer Weiterverbreitung von SARS-COV-2 geachtet worden sein soll. Außerdem dürfte es in einem großen Betrieb in einer Nachbargemeinde, in dem etliche Reuttener beschäftigt sind, zu Infektionen gekommen sein.

Um sich ein genaues Bild über die Infektionslage in der Marktgemeinde machen zu können, wird in Reutte bis kommenden Dienstag ein kostenloser PCR-Gurgeltest angeboten, von dem möglichst viele Bürger Gebrauch machen sollen. Verpflichtendende Ausreisetests, die es in Elbigenalp und Weißenbach gegeben hatte, sind in Reutte derzeit noch kein Thema.

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