Auch wenn die Durchseuchung in Österreich weiterhin im niedrigen einstelligen Bereich – nicht mehr als zwei, drei Prozent - liegen dürfte: Es gibt sie, die Genesenen, die eine Covid-19-Infektion hinter sich haben und nachweislich Antikörper im Blut tragen. Dürfen diese Menschen sich nun unverwundbar wie Superhelden fühlen und der Coronapandemie angstfrei den Rücken kehren? 

„Allein das Vorhandensein von Antikörpern ist keine Garantie für einen Schutz – es braucht eine bestimmte Qualität, sogenannte neutralisierende Antikörper“, erklärt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie an der Med Uni Wien. Werden Antikörper gemessen, muss überprüft werden, ob sie auch neutralisierend wirken. Die zweite Frage ist: Wie lange halten diese Antikörper? Die Antwort auf diese Frage kennt die Wissenschaft noch nicht: „Immer mehr Studien zeigen, dass die neutralisierenden Antikörper nach einer Infektion auch rasch wieder abfallen“, sagt Wiedermann-Schmidt. Jüngstes Beispiel: Bluttests der ersten Corona-Patienten in Deutschland, die Ende Jänner in München behandelt wurden, zeigten ein deutliches Absinken der Anzahl eben dieser neutralisierenden Antikörper im Blut.

Ursula Wiedermann-Schmidt, Med Uni Wien
Ursula Wiedermann-Schmidt, Med Uni Wien © med uni wien

Kein grünes Licht für Genesene

Auch an der Med Uni Wien werde nun zumindest über ein halbes Jahr beobachtet, wie lange diese neutralisierenden Antikörper halten, um die Frage der Immunität zu beantworten. „Wir können leider kein grünes Licht geben und sagen: Jeder, der eine Infektion hatte, ist geschützt. Wir wissen einfach nicht, wie lange der Schutz anhält“, sagt Wiedermann-Schmidt. Wenn sich SARS-CoV-2 allerdings ähnlich verhält wie die humanen Coronaviren, mit denen wir schon lange leben und die harmlose Erkältungskrankheiten auslösen, dann muss man davon ausgehen, dass die Immunität eine kurzlebige ist: Nur ein paar Monate hält die Immunität gegen diese Coronaviren.

Antikörper sind aber nur ein Teil der Immunantwort, die unser Körper gegen Infektionen aufzubieten hat – daneben gibt es noch die sogenannte zelluläre Immunantwort, die durch T-Zellen geschieht. Und genau diese Immunantwort wird gerade intensiv beforscht, wie Dorothee von Laer, Virologin an der Med Uni Innsbruck erklärt. „Es gibt andere Formen der Immunität, die auch dann bestehen können, wenn Antikörper verloren gehen“, sagt von Laer.

Mehr als Antikörper

So habe man zum Beispiel Fälle gesehen, wo sich Menschen innerhalb einer Familie trotz engem Kontakt mit Infizierten nicht angesteckt haben und keine Antikörper aufweisen – eine zelluläre Immunantwort, ein „Immungedächtnis“ könnte die Antwort sein. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der Mensch ja schon lange mit humanen Coronaviren lebt, die bei uns nur harmlose Erkältungen auslösen.

Dorothee von Laer, Med Uni Innsbruck
Dorothee von Laer, Med Uni Innsbruck © APA/HELMUT FOHRINGER

„Ein Immunschutz durch T-Zellen gegen die humanen Coronaviren könnte eventuell auch vor Covid-19 schützt“, sagt Wiedermann-Schmidt. Das bedeutet: Hat man im letzten Winter eine Erkältung durch ein harmloses Coronavirus durchgemacht, könnte die damals entwickelte zelluläre Immunantwort eventuell auch vor SARS-CoV-2 schützen. Das wäre eine Erklärung, warum die Erkrankung so unterschiedlich schwere Verläufe aufweist. Aber: „Noch ist das nur eine Hypothese und es gibt noch keine eindeutigen Daten dazu“, sagt die Expertin der Med Uni Wien.

Schwere Erkrankung, mehr Antikörper

Apropos Schwere der Verläufe: Internationale Studien zeigen auch, dass die Immunität davon abhängen könnte, wie schwer man an Covid-19 erkrankt war. Dorothee von Lear: „Menschen mit schweren Verläufen haben eine höhere und länger anhaltende Immunantwort.“ Je mehr Virus, desto mehr Antikörper, desto mehr Immunität – ob diese Formel so einfach zu postulieren ist, bezweifelt Wiedermann-Schmidt aber: „In unseren eigenen Untersuchungen haben wir gesehen, dass auch Menschen mit leichten Verlaufsformen, die zum Beispiel nur Geruchs- oder Geschmacksstörungen hatten, auch neutralisierende Antikörper gebildet haben.“ Wie lange diese anhalten, sei aber noch offen.

Wie die „anderen“ Coronaviren zeigen, könne zwar die neutralisierende Immunität innerhalb von Monaten verschwinden – aber eine Immunität, die Symptome bei einer erneuten Ansteckung zumindest abschwächt, könne bestehen bleiben.

Absage an die Impfung?

Nun ist die Frage der Immunität natürlich nicht nur für den einzelnen relevant – sondern spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Entwicklung einer Impfung geht. Ist die schwindende Immunität generell eine Absage an die Impfung? „Nein“, sagt Wiedermann-Schmidt – auf Basis dessen, was man über die natürliche Immunität lernt, könne man ableiten: Wie muss die Impfung zusammengestellt sein, damit die Immunität länger besteht? „Das kann erreicht werden, indem man Wirkstoffverstärker einsetzt, die das Immunsystem zusätzlich stimulieren“, sagt die Professorin für Vakzinologie. Den Herbst werde es jedenfalls noch brauchen, um besser zu verstehen, wie es mit der Immunität gegen SARS-CoV-2 beschaffen ist. „Wir brauchen noch Zeit, um das ganze Bild zu sehen“, sagt Wiedermann-Schmidt.

„Ich bin sehr optimistisch, dass wir eine Impfung haben werden“, sagt von Laer - „ich bin aber gar nicht optimistisch, dass das so schnell gehen wir, wie manche Kollegen meinen.“ Bereits Ende 2021 eine Impfung zu haben, die breit in der Bevölkerung eingesetzt werden kann, hält sie für eine Illusion – eine breite Impfkampagne sei frühestens in vier Jahren denkbar, so die Expertin. Schließlich müsse die Sicherheit der Impfung sichergestellt sein.

Zweite Erkrankungswelle für Immunitätstest

Und tatsächlich könnte auch eine weitere Erkrankungswelle notwendig sein, um die Immunität in der Realität zu testen. Denn: Im Labor können Antikörper und ihre Qualität gemessen werden – doch es sei es immer eine andere Situation, wenn jemand tatsächlich noch einmal dem Virus ausgesetzt ist, sagt Wiedermann-Schmidt. Für das Testen von Impfstoffen könne man entweder eine weitere Erkrankungswelle abwarten oder man behelfe sich mit sogenannten Challenge-Modellen, wobei man geimpfte Menschen mit dem Virus zusammenbringt.

Und was bedeutet das alles für eine oft erhoffte „natürliche“ Herdenimmunität in der Bevölkerung, die die Virus-Zirkulation beenden würde? „Eine Herdenimmunität hätte sich entwickeln können, wenn Covid-19 eine Erkrankung wäre, an der die gesamte Bevölkerung langsam und sukzessive erkrankt“, sagt Wiedermann-Schmidt – eine sogenannte homogene Verteilung.

Doch so breitet sich SARS-CoV-2 nun einmal nicht aus – viel mehr passiert die Ansteckung vor allem über Cluster, wo sich sehr viele Menschen an einem Ort, bei einem Event, bei einer Person, etc. anstecken. „Auf die natürliche Herdenimmunität zu hoffen, war daher eine Fehleinschätzung“, sagt Wiedermann-Schmidt.

Und für die Impfung bedeutet das wiederum: Um eine Herdenimmunität durch eine Impfung zu erreichen, müsste fast die ganze Bevölkerung geimpft werden. „Und das wird nicht möglich sein, denn so viel Impfstoff – zumindest anfangs - wird nicht vorhanden sein“, sagt Wiedermann-Schmidt. Vielmehr werde man wohl so vorgehen müssen, dass vor allem jene Menschen geimpft werden, die ein besonders hohes Risiko haben schwer zu erkranken.

Kein Freibrief

Für den einzelnen Covid-Genesenen bedeutet das alles nun: Wer heute nachweislich neutralisierende Antikörper im Blut hat – diese können in Speziallabors nachgewiesen werden – ist für den Moment geschützt. „Wie lange der Schutz jedoch anhält, kann ich sicherlich niemandem sagen“, erklärt Wiedermann-Schmidt. Auch von Laer sagt: „Menschen mit Antikörpern können jetzt etwas entspannter sein, aber es ist sicher nicht angebracht, sich über alle Vorschriften hinwegzusetzen. Antikörper sind kein Freibrief.“