Vier Wochen lang kämpfte Michael Staudinger mit dem neuartigen Coronavirus: Aufgrund eines angeborenen Gendefekts kann der 36-Jährige keine spezifischen Antikörper bilden, Staudingers Immunsystem hatte dem Virus somit nichts entgegenzusetzen. Die letzte Chance war das Blutplasma von bereits genesenen Covid-Patienten, das ihm am LKH-Uniklinikum Graz am 10. April verabreicht wurde. Schon vier Tage später konnte er die Intensivstation verlassen, seit vergangener Woche ist er nun wieder zu Hause.

Herr Staudinger, wie geht es Ihnen heute?

Michael Staudinger: Es geht mir sehr gut. Vergangenen Mittwoch habe ich um halb 10 Uhr die Grazer Uniklinik verlassen. Nach der Intensivstation war ich noch drei Wochen im Krankenhaus, ich brauchte Physiotherapie, habe mir selbst ein Trainingsprogramm zusammen gestellt, da ich sehr viel Muskelmasse verloren habe. Ich merke, dass meine Lunge noch Training braucht, aber es war schon ein großer Erfolg, dass ich ohne Sauerstoffversorgung nach Hause gehen konnte. Es wird wohl noch ein bis zwei Monate dauern, bis ich wieder dort bin, wo ich vor der Erkrankung war.

Sie leben ja schon seit Ihrer Geburt mit einem Immundefekt: War Ihr Leben davon sehr beeinflusst?

Es gab unterschiedliche Phasen, als Kind war ich sehr oft krank, doch das stabilisierte sich als ich älter wurde. Meine Lunge war schon immer ein Problemfeld, sie ist durch die vielen Infektionen vorgeschädigt. Seit mehr als zehn Jahren bekomme ich aber ein Medikament, das auch aus menschlichem Plasma hergestellt wird und das dafür sorgt, dass ich ein normales Immunsystem habe. Die Immunität anderer Menschen geht durch das Medikament auf mich über. Aber: Vor dem Coronavirus hat mich dieses Medikament nicht geschützt, da das Virus ja neu ist.

Sie haben sich mit dem Virus infiziert, noch bevor die strengen Lockdown-Maßnahmen in Österreich eingeführt wurden. War Ihnen der Ernst der Lage von Anfang an bewusst?

Zunächst habe ich noch gedacht, mein Immunsystem schafft das, ich war zunächst auch in Heimquarantäne, hatte zunächst nur milde Symptome. Doch als ich dann Fieber bekommen habe, ist es ernst geworden, dann ging es mit der Rettung ins Krankenhaus. Am Anfang hat noch keiner gewusst, wie man mit meiner Situation umgehen sollte – diese Phase war für mich sehr bedrückend und mit sehr viel Angst besetzt. Ich wusste nicht: Was kommt auf mich zu? Gibt es etwas, das helfen wird? Meine Lunge war auch schwer betroffen, die Sauerstoffsättigung niedrig – alles ist sehr anstrengend, so fühlt sich der Sauerstoffmangel an. Dann kam das hohe Fieber dazu, das war sehr schlimm für mich, da die Fiebersenkung immer nur kurz gegriffen hat, dann ging es wieder hoch auf 40 Grad. Dass ich damals wohl nur noch kurz von einem Multiorganversagen entfernt war, dass ich tatsächlich an der Kippe stand, dass weiß ich erst jetzt. Der Gedanke, dass es mit mir zu Ende gehen könnte, war präsent, aber wenn ich damals gewusst hätte, wie schlimm es um mich stand, wäre das noch viel belastender gewesen.

Wie haben Sie reagiert, als sie von der Plasmaspende erfahren haben?

Sobald ich das gewusst habe, ist es mir psychisch viel besser gegangen – zwar hat niemand gewusst, ob es helfen wird, aber ich habe es für mich angenommen. Außerdem habe ich gewusst, hier gibt es Ärzte, die sind engagiert, das hat mir großen Halt gegeben. Nach der Plasmaspende ist es mir sehr schnell besser gegangen. Die drei Wochen im Krankenhaus waren aber wichtig, um mich wieder aufzubauen.

Sie waren fünfeinhalb Wochen im Krankenhaus: Wie war das Nach-Hause-Kommen?

Es war unglaublich schön. Ich war ja insgesamt acht Wochen in Quarantäne, durfte keinen Besuch bekommen, die Ärzte kamen nur in Schutzkleidung in mein Zimmer. Ich habe wochenlang nur Augenpartien gesehen, da wieder rauszukommen, war daher eine unglaubliche Erleichterung. Heute bin ich allen dankbar, die auf meinem Weg dabei waren und die dafür gesorgt haben, dass das alles so funktioniert hat – wie bei einem Uhrwerk hat ein Zahnrad ins andere gegriffen. Es hätte aber auch ganz anders laufen können.

Wie geht es nun für Sie weiter?

Ich gehöre weiter zur Risikogruppe, da ich ja selbst keine Antikörper aufgebaut habe und daher nicht geschützt bin, im Gegensatz zu anderen Menschen, die die Erkrankung durchgemacht haben. Nach der Tortur, die ich hinter mir habe, ist das ganz schön unfair (lacht). Ich muss also weiterhin aufpassen und jetzt meinen Alltag gestalten. Ich gehe nicht zum Einkaufen, aber spazieren, an Orte, wo wenige Menschen sind. Zumindest weiß ich: Sollte ich tatsächlich noch einmal erkranken, gibt es durch das Rekonvaleszentenplasma ein Sicherheitsnetz. Und irgendwann werden die Antikörper gegen das Coronavirus hoffentlich auch Teil des Medikaments, das ich regelmäßig einnehme. Wie es für mich beruflich weitergeht, weiß ich noch nicht: Ich bin im Sozialbereich tätig, Homeoffice ist da kaum möglich. Welche Arbeit ich machen kann, muss ich für mich herausfinden.