Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die schlaflose Gesellschaft“ geschrieben. Ist die Schlaflosigkeit ein typisches Phänomen unserer Zeit?

Hans-Günter Weeß: Ja, das gilt für alle industrialisierten Länder. Schlafstörungen nehmen zu, jeder dritte Arbeitnehmer klagt laut einer Studie über Schlafprobleme.

Und was ist es, das uns den Schlaf raubt?

Unsere Non-Stop-Gesellschaft stört den Schlaf, wenn wir noch im Bett Mails beantworten oder mit Freunden chatten. Schichtarbeit spielt eine große Rolle, immer öfter wird ja Nachtshopping angeboten. Schichtarbeit geht mit Schlafstörungen einher. Gleichzeitig wird der Stress mehr, das führt zur Anspannung - und Anspannung ist der Feind des Schlafs.

Sie lehnen das Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ab, sagen stattdessen: „Beim frühen Vogel ist der Wurm drin.“ Braucht es ein gesellschaftliches Umdenken im Sinne unseres Biorhythmus?

Wir schätzen den Schlaf viel zu wenig. Wer wenig schläft oder früh aufsteht, gilt als dynamisch und fleißig. Wenn wir früh aufstehen, ist aber der Wurm drin, da viele von uns dadurch in einem chronischen Schlafmangel leben. Arbeit und Schule beginnen viel zu früh, Studien zeigen, dass Schüler bessere Leistungen erbringen würden, würde die Schule später beginnen. Der Schlaf verliert zu oft gegen Arbeit oder Hobbys. Dadurch sind wir chronisch unausgeschlafen und das hat Konsequenzen. Es gibt viel mehr Unfälle infolge von Müdigkeit als durch Alkohol am Steuer. Und wir sind nicht gesund: Wir haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Übergewicht. Unsere Lebenserwartung sinkt.

Hans-Günther Weeß
Hans-Günther Weeß © kk

Gleichzeitig versuchen wir den Schlaf mithilfe von Apps zu optimieren. Was halten Sie davon?

Damit unterliegen wir einer Pseudowissenschaftlichkeit: Diese Apps sind sehr fehleranfällig, ich warne davor, diesen Ergebnissen zu vertrauen. Das Wichtigste ist, sich in der Früh zu fragen: Fühle ich mich ausgeschlafen? Auf dieses Gefühl können wir uns verlassen. Dazu kommt, wenn wir uns zu sehr mit dem Schlaf befassen, setzen wir uns unter Druck. Ich sage immer: Wer schlafen will, bleibt wach.

Wie meinen Sie das?

Wir können nur dann schlafen, wenn wir gelassen sind. Wenn wir aber krampfhaft einschlafen wollen, führt das zum Gegenteil: Wir sind angespannt und das verhindert den Schlaf.

Dadurch entsteht ein Teufelskreis. Wie kommt man da heraus?

Wir haben gute Verhaltenstherapien für Schlafstörungen. All diese Techniken konzentrieren sich darauf, dass der Schläfer sich von seiner Schlafstörung abwendet, sich vom Alltag löst und eine vernünftige Schlafhygiene in den Alltag bringt.

Warum schläft es sich vor dem Fernseher so gut?

Der Fernseher ist auf den ersten Blick die perfekte Einschlafhilfe, da uns das Programm selten sehr interessiert, aber uns von den Sorgen des Alltags ablenkt. Wir kommen in die Entspannung. Aber: Der Schlaf vor dem Fernseher ist sehr oberflächlich, der Fernseher gehört nicht ins Schlafzimmer. Eigentlich ist Fernsehschlaf der Einschlaf-Killer Nummer eins, da man nach dem Schläfchen auf der Couch im Bett nicht einschlafen kann.

Sie plädieren für den Mittagsschlaf - warum?

Ein kurzer Mittagsschlaf von zehn Minuten wäre für jeden empfehlenswert. Wer das regelmäßig tut, senkt sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hat eine höhere Lebenserwartung. Auch der Arbeitgeber würde profitieren, wir wären leistungsfähiger und kreativer. Leider wird der Mittagsschlaf nicht geschätzt.