Nicht der Wohnort soll entscheiden, wer welches hochpreisige Medikament bekommt: Ein neues, gesetzlich beschlossenes Bewertungsboard soll hoch spezialisierte Arzneimittel bewerten und bundesweit Empfehlungen geben. „Die Grundidee für einen einheitlichen Therapiezugang in Österreich ist sehr positiv für die Patienten“, sagte Medizinerin Sylvia Nanz. Es gibt aber auch Kritik: Fachexperten seien zu wenig eingebunden und die Entscheidungsfristen für die oft rasch zu verabreichenden Medikamente zu lange. Auch sonst gibt es noch viele Fragezeichen rund um die Umsetzung.

„In der Vergangenheit gab es Familien, die ihren Wohnort in ein anderes Bundesland verlegt haben, um zu Therapien zu kommen“, erklärte Reinhold Kerbl von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landeskrankenhaus Hochsteiermark in Leoben. Der Hintergrund: Es war von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, welche Therapien genehmigt und bezahlt wurden. Ein Paradebeispiel dafür war der Fall von Gregor Polic, der erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit die Kosten für die Therapie seiner seltenen Muskelkrankheit SMA bezahlt bekam. Dass ein neues Gremium nun für ganz Österreich die Kostenübernahme bei sehr speziellen und teuren Therapien entscheiden wird, wäre sehr begrüßenswert, damit alle Patientinnen und Patienten in Österreich gleichberechtigt sind.

Behandelnde Ärzte und Patienten nicht eingebunden

Kinderarzt Kerbl kritisierte jedoch, dass die medizinischen Experten nicht ausreichend eingebunden ist. „Sie haben ausschließlich beratende Funktion und dürfen nicht mitentscheiden“, sagte er: „Außerdem sind sie zahlenmäßig zu gering, nämlich nur drei von 24 stimmberechtigten Personen“. Die übrigen Gremiumsmitglieder vertreten vorwiegend die Behörden und „Zahler“, etwa das Gesundheitsministerium, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, die Länder und Sozialversicherungen. „Als Mediziner glauben wir, dass wir die Bedürfnisse der Patienten gut kennen“, so Kerbl. „Wir würden auch nie eine Therapie propagieren, die den Betroffenen nichts nützt.“

„Bei den meist sehr seltenen Erkrankungen, wo solche Therapien zur Anwendung kommen, ist Expertenwissen unumgänglich“, erklärte Nanz, die als Medical Director bei der Pharmafirma Pfizer Corporation Austria arbeitet. „Auch Patientenexperten sollten ihre gelebte Erfahrung einbringen“, sagte Elisabeth Weigand von Pro Rare Austria, einem Dachverband für Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen für seltene Erkrankungen mit Sitz in Wien: „Nur diese können den Zusatznutzen einer Therapie bewerten.“

Fünf Monate für Entscheidung – oder noch viel länger

„Momentan kommen die Betroffenen vergleichsweise rasch zu neuen Therapien“, berichtete Nanz. Dies wäre sehr wichtig, denn viele der Krankheiten, wo hoch spezialisierte teure Therapien zur Verfügung stehen, sind chronisch fortschreitend, das heißt, ein entstandener Schaden ist nicht mehr wettzumachen. Das neue Bewertungsboard könne sich nicht nur bis zu fünf Monate für eine Entscheidung Zeit lassen, sondern sie sogar mittels „unlimitierter Fristerstreckung“ theoretisch über mehrere Jahre verzögern, kritisierte Kerbl. Er forderte, dass jener Fristenpassus im Gesetz geändert wird.

Noch ist das Bewertungsboard nicht eingesetzt, daher sind noch Fragen rund um die praktische Umsetzung offen. Zum Beispiel: Muss das Board auch Medikamente bewerten, die bereits in der Therapie eingesetzt werden? Generell sollen die Empfehlungen des Boards den Status eines Sachverständigen-Gutachtens bekommen: Zu einer Therapie wird eine Empfehlung ausgesprochen, die gilt dann für alle betroffenen Patientinnen und Patienten in Österreich.