Kind X, nennen wir es Tim, gehört zur motivierten Sorte. Seine To-do-Liste im Advent ist lang. Die Krippe hat Tim am 1. Dezember im Alleingang aufgebaut. Geht es um Strohsterne, wird der 7-Jährige zum Hochleistungsbastler. Und auch seiner Mama geht Tim jetzt öfters zur Hand. In den letzten Wochen haben die beiden zwölf Dosen mit Keksen befüllt. Gestern war es dann so weit: Tim hat seinen Brief ans Christkind geschrieben und ins Küchenfenster gelegt. In der Früh war der Brief weg. Und Tim? Der ist auf einmal skeptisch. Was passiert, wenn das Christkind einen Brief verliert? Und überhaupt: Wie schafft es das Christkind, überall gleichzeitig zu sein?

Der Lüge entgehen

Wie Erwachsene in dieser Situation am besten reagieren, erklärt Psychologin Patricia Winkler. Als Elternteil könne man etwa mit einer Gegenfrage („Was denkst du darüber?“) antworten. Dadurch ließe sich behutsam herausfinden, welche Vorstellungen das Kind vom Christkind hat oder ob es überhaupt noch daran glaubt. So entgeht man auch in gewisser Weise dem Lügen. Patricia Winkler verwendet in diesem Fall ohnehin lieber den Begriff der Täuschung: „Denn im Gegensatz zur Lüge fehlt hier die absichtliche Falschaussage.“

Das magische Denken anregen

Aber was konkret macht die Geschichte vom Christkind jetzt mit unseren Kindern? Mit Erzählungen dieser Art spricht man das magische Denken von Kindern an. Zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr sei die kindliche Fantasie am stärksten ausgeprägt. Ob der Glauben ans Christkind ein Kind später zu einem fantasievollen Erwachsenen macht, sei allerdings nicht bekannt.

Im Volksschulalter beginnen Kinder immer mehr zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Fängt das Kind an, Zweifel zu äußern (Mama, bist du das Christkind?), sei es wichtig, es in seiner Bewusstwerdung zu bekräftigen. Wer die Geschichte zwanghaft aufrechterhält, beginnt Kinder in ihrer Wahrnehmung zu irritieren. Dazu zählen Sätze wie „Draußen ist gerade das Christkind vorbeigeflogen“ oder scheinbare Beweise, wie verstreute goldene Engelshaare vor dem Christbaum.
Vor der kindlichen Enttäuschung müssen sich Eltern nicht fürchten. Negative Gefühle wiegen Kinder meistens positiv auf. Und zwar mit der Erkenntnis, das Geheimnis hinter dem Christkind endlich gelüftet zu haben.

Negative Erziehungsmittel schaden

Egal, ob Nikolaus, Krampus, Christkind oder Weihnachtsmann: Immer wieder lassen Eltern magische Figuren in Fleisch und Blut aufmarschieren – zum Beispiel per Schauspieler direkt zu Hause. Überwiegt bei solchen Ereignissen der positive Sinn, sei laut Patricia Winkler nichts dagegen einzuwenden. Von Figuren, die nur als negatives Erziehungsmittel dienen, rät die Psychologin allerdings ab. Das könne bei Kindern verstärkt zu Angst führen und sei nicht entwicklungsförderlich. Wie in vielen Fällen muss das aber jede Familie selbst entscheiden.