"Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben zu arbeiten", lautet ein Zitat, das Konfuzius zugeschrieben wird. Viele Menschen lieben ihre Berufe, dennoch sind sie mit ihren Kräften am Ende. Wieso ist das so?
SARA WEBER: Der Gedanke, dass man für seinen Job nur Liebe und Leidenschaft empfinden muss und dann ist alles gut, greift zu kurz. Denn das bedeutet nicht, dass die Arbeitsbedingungen gut sind, dass man mit Kolleginnen und Kollegen gut auskommt, dass man wertgeschätzt und gut bezahlt wird. Die Rahmenbedingungen sind in dieser Aussage völlig losgelöst und das entspricht nicht der Realität. Ganz im Gegenteil – diese Leidenschaft vieler Menschen für ihren Beruf wird oft ausgenutzt, um diese Rahmenbedingungen eben nicht bestmöglich für den Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin zu gestalten.

Was wäre ein Beispiel aus Ihrer Sicht hierfür?
Das beste Beispiel ist die Pflege. Es gibt kaum einen sinnbehafteteren Beruf. Viele Menschen, die in der Pflege arbeiten, machen das mit Liebe und Hingabe. Dennoch sind die Arbeitsbedingungen häufig schlecht, die Bezahlung ist dürftig und die Belastung ist hoch, auch die körperliche.

Ihr Buch trägt den Titel "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?", Sie haben sich mit Arbeit in zahlreichen Facetten beschäftigt. Aber was bedeutet für Sie persönlich Arbeit?
Arbeit umfasst für mich, wie für die meisten anderen Menschen auch, erst mal die Tätigkeiten, mit denen ich Geld verdiene. Also das, wo man klassisch sagt, das ist mein Beruf. Gleichzeitig ist Arbeit aber auch mehr. Etwa Sorgearbeit, wenn man sich um Angehörige oder Kinder kümmert. Das ist Arbeit, die nicht bezahlt wird, von der man die Miete nicht bezahlen kann. Dennoch ist es Arbeit. Ein weiteres Beispiel: ehrenamtliche Arbeit, die nicht bezahlt ist, aber einen gesellschaftlichen Beitrag leistet.

"Wir finden nie, dass wir eine Pause verdient haben", zitieren Sie in Ihrem Buch Devon Price und streichen die Bedeutung von Faulsein und das schlechte Image ebendessen hervor. Wieso wird Faulsein als etwas Schlechtes angesehen?
Irgendwie sind wir in eine Situation hineingerutscht, in der es ständig nur darum geht, produktiv zu sein. Wir kennen dieses Gefühl wohl alle, wenn wir einen Tag nur auf dem Sofa gelegen sind und nichts gemacht haben, denken wir schnell: "Mensch, heute habe ich nichts geschafft." Aber es ist doch völlig in Ordnung, wenn man mal nichts tut, weil man vielleicht einfach mal eine Pause, eine Auszeit braucht. Hingegen sind wir getrimmt darauf, produktiv zu sein und uns beweisen zu müssen. Unsere Produktivität bestimmt unseren Wert. Das ist absurd.

Absurd, weil …
Weil Pausen machen, auch Langeweile, etwas sehr Schönes sein kann. Dadurch entsteht Kreativität. Und weil es manchmal auch nötig ist, nichts zu tun. Dass wir unseren Wert über Arbeit und Produktivität definieren, ist eine kulturelle Sache, die wir uns während der letzten Jahre und Jahrzehnten aufgebaut haben.

Wo sehen Sie die Ursache für die überwältigende Bedeutung der Produktivität?
Es ist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Zum einen werden wir von Kindesalter an darauf getrimmt. Wie hast du alles geschafft, was machst du alles, wie misst du dich im Vergleich zu anderen? Welche Noten bringst du mit nach Hause? Später, im Beruflichen, werden Menschen genau nach diesem Beruf bewertet, werden positiver oder negativer eingeschätzt, je nachdem, welchen Job sie machen. Hinzu kommt eben die Produktivität und die scheinbare Notwendigkeit, sich ständig selbst optimieren zu müssen – das ist etwas, was wir uns von den USA bzw. vom Silicon Valley, abgeschaut haben. Auch in der Freizeit: Man geht nicht einfach laufen, weil man laufen möchte, man ist über Smartwatch und diverse Apps ständig in Konkurrenz mit anderen. Dieser Wettbewerb hat durch Technologie noch einmal einen Schub bekommen.

Andererseits geistert seit einiger Zeit das Schlagwort "Quiet Quitting" herum. Damit soll beschrieben werden, dass Menschen, die Dienst nach Vorschrift, also jene Arbeit machen, zu der sie vertraglich verpflichtet sind, innerlich ihren Job schon gekündigt hätten und nicht leistungsbereit wären. Da läuft doch etwas massiv falsch, oder?
Mit diesem Begriff wird suggeriert, Menschen kündigen still, nur weil sie keine Lust haben, ständig ihre Grenzen zu überschreiten. "Quiet Quitting" ist ein irreführender Begriff, der nichts mit Kündigung zu tun hat. Sondern, man macht seine Arbeit, aber nicht ständig mehr als das. Das ist absolut in Ordnung. Aber viele vertreten die Ansicht, wenn du ausbrennst, hast du alles richtig gemacht. Diese Sichtweise ist gefährlich, aber so arbeiten wir gerade. Dabei wissen wir, dass Menschen, die sehr lange arbeiten, nicht gesünder arbeiten. Im Gegenteil.

Wie schaffen wir als Arbeitende es, unter diesen Vorzeichen, Grenzen zu setzen und diese nicht zu überschreiten?
Das ist nicht einfach, denn als einzelne Person steht man meist einem großen Konstrukt, einem Unternehmen gegenüber, das ist ja kein gleiches Machtverhältnis. Anne Helen Petersen und Charlie Warzel sprechen in diesem Zusammenhang von Grenzen und Leitplanken. Grenzen sind etwas sehr Persönliches und man muss in der Lage sein, diese zu verteidigen. Aber nicht alle Menschen haben das Privileg, oder die Möglichkeiten, ihre eigenen Grenzen einzumahnen. Um das zu gewährleisten, braucht es Leitplanken, die uns in der Spur halten. Diese müssen aber institutionalisiert werden, von der Gesellschaft, von Unternehmen, von der Politik vorgeben werden. Das bedeutet: Wir benötigen diese Rahmenbedingungen, um nicht ständig unsere Grenzen verteidigen zu müssen. Aber genau diese Rahmenbedingungen wurden während der letzten Jahrzehnte weiter aufgeweicht. Es scheint aber ein Umdenken stattzufinden, auch weil die jüngeren Generationen sagen, wir wollen das nicht mehr, wir machen da nicht mehr mit.

Das bedeutet, es wäre an der Zeit, diese Rahmenbedingungen neu zu verhandeln, sie anzupassen?
Ja, denn es braucht in der Arbeitswelt Regeln. Idealerweise sind das Regeln, die die Menschen schützen – auch bis zu einem gewissen Grad vor sich selbst und vor anderen, die diese Grenzen ständig weiter nach außen drücken. Das müssen wir neu verhandeln. Wenn wir dieselben Leitplanken haben wie vor 50 Jahren, macht das nur begrenzt Sinn.

Woran liegt es, dass Millennials und Angehörige der Generation Z so anders auf Arbeit blicken?
Zum einen ist es der Arbeitsmarkt. Als ich etwa angefangen habe zu arbeiten, in Zeiten der Finanzkrise, musste man dankbar sein, überhaupt einen Job zu bekommen. Und man wusste: Wenn ich jetzt nicht alles gebe, kommen 70 andere, die den Job möchten. Das ändert sich nun aber. Wir haben einen Fachkräftemangel und die Arbeitnehmerinnen und -nehmer haben mehr Macht und können sagen: Nein, unter diesen Bedingungen möchte ich nicht arbeiten. Zum anderen stellt sich die Frage: Wofür arbeiten wir? Früher gab es diese Mittelklasseversprechen, das Aufstiegsversprechen. Wenn du hart arbeitest, kannst du dir eine Immobilie leisten und zwei Autos vor dein Haus stellen. Aber dieses Versprechen ist nicht mehr einzuhalten. Die Immobilienpreise sind jenseitig, auch eine sichere Pension ist fraglich. Hinzu kommt die Klimakrise und es ist unklar, ob unsere Welt künftig nicht lebenswert sein wird. Vor diesem Hintergrund kommen eben Fragen auf wie: Wofür soll ich so hart arbeiten? Was ist das Ziel?

Das bedeutet, es fehlt die Perspektive, es mal besser zu haben als die eigene Elterngeneration?
Genau, dieses Zukunftsversprechen bricht gerade um uns herum zusammen.

Sie selbst haben sich die Frage nach dem Sinn Ihrer Arbeit gestellt, Ihren Job gekündigt und eine sechsmonatige Pause eingelegt. Was hat die Pause mit Ihnen gemacht?
Erst mal durfte ich Pause machen, für dieses Privileg bin ich sehr dankbar, denn sehr viele Menschen können das nicht. Und das ist ja das Kernproblem, oder? Dass Menschen keine Pause machen können, wenn sie eigentlich eine brauchen würden. Bei mir hat diese Auszeit bewirkt, dass ich anders über Arbeit nachdenke. Ohne die Pause hätte ich auch das Buch nicht geschrieben, die Idee ist gegen Ende der sechs Monate entstanden. Es ist nicht dieses Warum arbeiten wir? Die Arbeit wird uns bleiben. Aber es ist Frage Warum arbeiten wir uns so auf? Warum bestimmt Arbeit alles in unserem Leben? Wenn eigentlich, und das haben wir während der Pandemie ja gelernt, Familie, Freunde, Hobbys, jene Dinge sind, die uns glücklich machen.

Wie kommen wir als Gesellschaft da wieder raus?
Das erste ist das Problembewusstsein. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass dies alles kleine individuelle Probleme sind, die sich mit mehr Produktivität oder besseren To-Do-Listen lösen lassen. So einfach ist das nicht. Ein weiter Punkt, den wohl alle Eltern kennen, ist das Thema Sorgearbeit, der zu großen Teilen immer noch von Frauen übernommen wird. Diese Sorgearbeit ist die Basis, dass überhaupt andere Arbeit geleistet werden kann. Dieses System der Sorge- und auch Pflegearbeit bricht ebenfalls gerade zusammen. Das zu lösen sollte höchste Priorität haben. Das geht nicht von heute auf morgen, aber die Politik hätte Möglichkeiten, hier einzugreifen. Ein anderer Hebel ist die Arbeitszeit. Die Voraussetzungen am Arbeitsmarkt haben sich geändert – Stichwort Technologie und Produktivität – aber die Vollzeitarbeitszeit ist mehr oder weniger gleich geblieben. Das ist ein Riesenproblem.

Meinen Sie, wenn Sie von Arbeitszeitreduktion sprechen, die Vier-Tagewoche?
Die Vier-Tagewoche wäre ein Beispiel, aber ich will gar nicht so dogmatisch sein. Jede Art von relevanter Arbeitszeitreduktion bei gleichbleibendem Gehalt wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Und ein letzter Punkt: Die Schere zwischen Wissensarbeit mit Homeoffice und Co., und jener Arbeit, die das Leben aufrechterhält, geht immer weiter auseinander. Wenn wir eine bessere Arbeitswelt haben möchten, müssen diese Änderungen allen zugutekommen und nicht nur ein paar wenigen. Menschen, die arbeiten, sollten in der Lage sein, ein gutes Leben zu führen.