Ihr Buch heißt „Nachhaltig gibt’s nicht“. Nun werden viele sagen „stimmt“, andere „Was ist da los?“ Und ja, was ist da los?
Cornelia Diesenreiter: Ich wollte genau diese beiden Gruppen ansprechen, weil man beide braucht. Ich habe mein ganzes Leben, versucht, nachhaltig zu sein – habe studiert, in einem Hippiecamp gelebt, ein soziales Unternehmen gegründet. Je mehr ich mich bemüht habe, desto mehr habe ich erkannt wie komplex das Thema ist. Ich dachte, es ist unmöglich – nachhaltig gibt’s nicht.

Das klingt nach Kapitulation.
Nein, diese Feststellung soll eine Befreiung sein! Es soll nicht um Perfektion gehen. Nachhaltigkeit ist etwas Hochindividuelles, so wie der Mensch selbst, sie muss zum Lebensstil passen. Man sollte nicht mit etwas großem starten, wo man einen extremen Verzicht empfindet, dann wird man nicht lange durchhalten. Man sollte einfach klein anfangen und spüren, welches Potenzial der Freude da schlummert. Ich würde zum Beispiel sehr gerne vegan leben, aber ich liebe Käse. Deswegen habe ich hier meinen Kompromiss, meine Nachhaltigkeit, gefunden. Ich esse keine Eier, aber Käse gönne ich mir.


Warum wird diese Debatte immer so emotional geführt?
Das hat mehrere Gründe wie beispielsweise Greenwashing, dass man also Geld damit machen will. Es hat sich aber leider auch etabliert, dass sich vermeintlich nachhaltig lebende Menschen sehr moralisierend verhalten und viel schlechtes Gewissen erzeugen. Der Diskurs ist entglitten. Die Herangehensweise an die Thematik ist so aggressiv, dass viele die Scheuklappen zugemacht haben, bevor sie sich damit auseinandersetzen konnten.


Könnte es daran liegen, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht klar genug definiert ist?
Ein wesentlicher Punkt ist, dass viele Menschen den Begriff für sich beanspruchen, ohne überhaupt zu wissen, was er bedeutet. Den größten Aha-Effekt hat bei mir das Drei-Säulen-Modell ausgelöst. Es gibt die ökologische Seite: Umwelt, Wasser, Biodiversität. Die Soziale: die Würde des Menschen, faire Arbeitsbedingungen und Entlohnung. Ganz wichtig ist aber auch die ökonomische Säule. Es bringt langfristig nichts, wenn ökologische und soziale Projekte durch Steuergelder gefördert werden, die durch schädliches Wirtschaften entstehen. Das bedeutet, ökosoziale Produkte müssen sich auch wirtschaftlich rentieren. Und Geld ist hier ein wichtiger Teilaspekt der Nachhaltigkeit. Nur, wenn diese drei Säulen ausgeglichen wachsen, kann man tatsächlich von Nachhaltigkeit sprechen.


Sie zeigen durch eine Liste von Fragen, wie facettenreich das Thema ist: Unter welchen Bedingungen ist mein Wecker entstanden? Aus welchem Material ist meine Matratze? Welchen Kaffee verwende ich? Haben Sie auf jede Frage eine Antwort?
Die Fragen zeigen, dass nahezu jede Handlung nachhaltige Konsequenzen hat und nicht einmal ich habe es geschafft, auf alle die nachhaltige Antwort, zu finden. Für manches gibt es auch noch keine nachhaltige Lösung. Innovation wird eine wesentliche Rolle spielen. Aber wenn Millionen von Menschen, einmal irgendwo anfangen, hat das viel größeren Einfluss als, wenn sich wenige kasteien.

Sie haben damit begonnen, Obst, um das sich die Gartenbesitzer nicht kümmern konnten, weiterzuverwerten. Sie schildern im Buch, dass Ihnen eine Bäuerin fünf Tonnen Wassermelonen anbot. Wie kam es dazu?
Sie hat mich angerufen, nachdem sie einen Zeitungsartikel über mich gelesen hat. Mir war nicht bewusst, dass in der Landwirtschaft tonnenweise bestes Obst und Gemüse weggeworfen wird. Und dann steht man da in einem Kühlhaus und es ist bis oben hin voll mit hochwertigster Ware und das wird alles weggeschmissen.


Warum?
Die Schuldfrage ist in der Nachhaltigkeit eine sehr beliebte. Es ist aber komplex. Gerade bei Obst und Gemüse ist es so, dass man gerne auf Supermärkte und EU schimpft, dass so viel weggeschmissen werden muss, weil es zu klein oder zu krumm ist. Wenn man aber die Kunden in der Obst- und Gemüseabteilung beobachtet, dann wird man sehen, dass jedes Stück angegriffen und gedrückt wird, damit man ja das Beste erwischt. Und das passiert schon bei perfekt aussehender Ware. So eine Entwicklung hat leider oft sehr pragmatische Gründe.

Dass es schwerfällt, es allen recht zu machen, haben Sie bei der Gründung Ihrer Firma gemerkt.
Ja, die Plastik-Debatte. Wenn wir unsere Gläser in größeren Mengen liefern, dann gibt es die Möglichkeit, dass sie in einer Wanne stehen und zum Schutz mit einer Plastikfolie überzogen werden. Plastik aber so verpönt, dass man das als nachhaltiges Unternehmen nicht machen kann, deswegen geben wir sie in Papierkartons. Der braucht aber bei der Erzeugung viel mehr Energie als die Plastikfolie jemals brauchen würde. Ich möchte Plastik nicht verteidigen, es braucht noch einige Innovationen, damit es bald abgelöst werden kann. Bis dahin macht es nicht immer Sinn, es überall wegzulassen, weil es in einem anderen Bereich negative Konsequenzen haben kann.

Ein nachhaltiger Lebensstil gilt gerne als Luxusproblem.
Nachhaltigkeit wird immer mehr dazu verwendet, seine Identität aufzubauen: Wie möchte ich auf andere wirken? Es gibt auch viele Studien, die zeigen, dass Nachhaltigkeitsaktivitäten gerne gesetzt werden, wenn andere einem dabei sehen können – der Jutebeutel oder auf den Bauernmarkt gehen. Gerade Bobos haben es für sich beansprucht und zeigen das. Sie müssen die Nachhaltigkeit wieder hergeben. Übertrieben formuliert: Es gibt sicher auch viele FPÖ-Wähler, die ein nachhaltiges Leben führen, die sich aber nie als nachhaltig bezeichnen würden, weil sie es eben mit den meist Grün-wählenden Hipstern in Verbindung bringen. Es ist eine politisierte und emotionale Debatte. Die Nachhaltigkeit gehört niemandem – sie ist für jeden da.

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