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Hilft es den Betroffenen denn, wenn sie öfter zum Arzt gehen oder wird dieser Drang zur zusätzlichen Last?
Das ist wie so vieles in der Psychiatrie sehr kompliziert und vielschichtig. Es gibt natürlich Menschen, die man als Hypochonder diagnostiziert und die wirklich sehr unter ihrem Störungsbild leiden. Es gibt aber auch eine riesige Gruppe, die das auch gerne ein bisschen vor sich herträgt, da ist dann meistens auch gar nicht besonders schlimm. Man kann natürlich auch eine sehr schwere Form der Hypochondrie haben, wodurch man dann auch kaum aus dem Haus kommt und da hört es für die Betroffenen dann auch auf, lustig zu sein.

Welche Erlebnisse und Erfahrungen lassen einem zum Hypochonder werden?
Da gibt es viele Sachen. Mein Freund, Andreas Wenderoth, den ich zuvor erwähnt habe, hatte vom 15. bis zum 18. Lebensjahr, eine sehr schwere Infektionskrankheit, die mit mehreren Krankenhausaufenthalten und Operationen verbunden war. Das hat ihn so negativ geprägt, dass er sich vorgenommen hat, dass so etwas nie wieder vorkommen soll. Deswegen ist er seit seinem 15. Lebensjahr Hypochonder.
Kann Hypochondrie auch ein Verdrängen andersartiger Probleme sein?
Ja, wenn man sich ständig mit seinem Körper und seiner Gesundheit beschäftigt, kann man dadurch auch sein Leben in bisschen kontrollieren. Dann bleibt recht wenig Zeit, sich mit dem Außen oder mir darüber hinaus gehenden Problemen oder Themen wie beispielsweise soziale Konflikte zu beschäftigen. Man kann es auch als Ausrede nehmen: Ich unternehme das oder packe das erst an, wenn ich gesund bin. Das kann eben dazu führen, dass man es nie macht, weil man eigentlich nie so gesund ist wie man es sich gewünscht hätte.

Sie arbeiten als Kinder- und Jugendpsychiater, in einem Fernsehinterview sagten Sie vor Kurzem, dass das Coronavirus uns alle wieder zu Jugendlichen machen würde, können Sie das genauer erklären?
Corona ist aus meiner Sicht ein Zustand verschärfter Pubertät. Die Pubertät ist eine Zeit, in der man erstmals als junge, erwachsene Person ins Leben tritt, eigene Vorstellungen und Wünsche artikuliert und diese auch leben möchte. Diese kollidieren aber mit dem Umfeld – Familie und Eltern. Und so eine Pandemie ist wie eine ganz wenig fürsorgliche Mutter, die einem alles verbietet, was Spaß macht. Ich darf nicht mehr ins Restaurant gehen, ich darf nicht mehr feiern und trinken, ich soll nicht laut singen und auch nicht zu Konzerten oder Fußballspielen gehen. Ich soll mir da und dort eine Maske aufsetzen und mir ständig die Hände waschen. Irgendwie sind wir unter dem Diktat einer strengen Mutter in die Pubertät zurückgeworfen. Aus wissenschaftlicher Sicht erklärt das auch die völlig übertriebene, pubertäre Reaktion einiger Menschen.

In Ihrem Buch geht es aber auch um die gängigen Klischees Psychiatern gegenüber. Können Sie uns ein paar aufzählen?
Die Zwangsjacke und die Couch sind die häufigsten. Was ich so witzig finde an den beiden Klischees, ist, dass sie so wahnsinnig schlecht zusammenpassen. Die Vorstellung, dass man in der Zwangsjacke auf dem Sofa liegt, ist dann zu viel des Guten.

Sie schreiben auch über das Verhältnis zu Chirurgen die Psychiater oft belächeln. Warum?
Die Legitimation in der Medizin sind die Patienten und die Krankheitsbilder. Wenn unsere Haut nie Probleme hätte, dann gäbe es auch keine Dermatologen. So ist es eben auch mit der Psychiatrie, natürlich sind wir nur legitimiert durch die Krankheiten, die eben besonders und so wie alle Krankheiten sinnlos sind. Nun haben wir uns aber an das Konzept einer sinnlosen dermatologischen Krankheit gewöhnt, aber das Konzept einer sinnlosen psychischen Krankheit, das erscheint immer wieder hinterfragbar.