Erst herrschte unter Fachleuten ungläubiges Staunen. Als die türkis-grüne Bundesregierung Anfang des Jahres ihr Regierungsprogramm vorstellte, fand sich im Klimaschutz-Kapitel ein Ziel, das alles bisher da gewesene in den Schatten stellte: Österreich soll „bis spätestens 2040“ klimaneutral werden. Das Land soll also seinen Treibhausgasausstoß binnen 20 Jahren auf annähernd Null reduzieren. Ein Vorhaben, das dem Pariser Klimavertrag entsprechen würde und das EU-Ziel einer CO2-Neutralität bis 2050 sogar um ein Jahrzehnt überträfe.

Am Klimaziel festhalten

"Symbolpolitische Aktivitäten"

So hat sich die Regierung für eine erste Phase Schritte vorgenommen wie eine einheitliche Flugticketabgabe von zwölf Euro, Anreize für emissionsärmere Dienstwagen, die Einschränkung des Tanktourismus oder eine Ökologisierung der Pendlerpauschale. „Gemessen an der Gesamtaufgabe sind das nur symbolpolitische Aktivitäten“, sagt Schleicher. „Das 2040er-Ziel ist in Wahrheit noch in keiner Weise mit Maßnahmen abgedeckt.“ Schleicher vermutet in der Klimapolitik sogar die „Sollbruchstelle“ der Regierung: „Beide Partner wissen, dass hier Ansprüche und Wirklichkeit am weitesten auseinanderklaffen. Es ist kaum vorstellbar, dass die Grünen für die tatsächlich notwendigen Maßnahmen die Unterstützung des Koalitionspartners bekommen.“

Denn die Umbrüche würden kaum einen Lebensbereich verschont lassen:

Mobilität:
In 20 Jahren dürften in Österreich praktisch keine fossil betriebenen Fahrzeuge mehr unterwegs sein, herkömmliche Tankstellen wären Geschichte. „Um das sicherzustellen, müsste die Neuzulassung fossiler Pkw schon bald unterbunden werden“, sagt Schleicher. Parallel müsste eine CO2-Bepreisung eingeführt werden. „Um wirksam zu sein, sollte der Preis bei mindestens 50 Euro je Tonne starten, dann auf 100 Euro, später auf 200 Euro steigen.“ Einnahmen daraus könnten etwa in die Finanzierung des geplanten 1-2-3-Tickets fließen. Schleicher schätzt den Gesamtfinanzbedarf dafür auf eine Milliarde Euro pro Jahr. „Dazu kämen weitere ein bis zwei Milliarden jährlich für den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs.“ Das ganze Mobilitätssystem müsste binnen weniger Jahre neu gedacht werden. Die jetzt beschlossene millionenschwere Stützung der AUA passt trotz Klimaauflagen nur mäßig gut in dieses Bild.

Wohnen:
Mit dem Ausstieg aus Öl und Erdgas beim Heizen ist es hier nicht getan. Soll die Zukunftslösung bei Niedrigenergiewärme liegen, was Schleicher für unerlässlich hält, muss der gesamte Gebäude-Altbestand saniert oder neu gebaut werden. Ein enormer Aufwand, der Milliarden kostet. Kaum ein Gebäude käme ohne zusätzliche Investitionen aus. Im Fokus müsste nicht mehr die Beheizung einzelner Häuser liegen, sondern die Wärmeversorgung ganzer Viertel, sagt Schleicher.

Ernährung:
Der derzeitige Fleischkonsum in Österreich mit mehr als 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr, ist in dieser Form schon allein wegen des Flächenbedarfs für Futtermittel nicht aufrechtzuerhalten. In der heimischen Landwirtschaft dürfte gleichzeitig der Humusaufbau wichtiger werden.

Konsum:
Zwar belasten internationale Herstellung und globaler Transport von Waren nicht direkt Österreichs CO2-Bilanz. Doch ohne stärkeres Augenmerk auf lokale und nachhaltige Produktion wird es mit der Klimawende schwierig. Innerhalb der eigenen Grenzen sind es produktionsseitig vor allem die Stahl- und Zementindustrie, die auf Österreichs Klimazahlen lasten. „Es führt kein Weg daran vorbei, diese sensitiven Produkte zielgerichteter und nicht mehr so umfassend einzusetzen“, sagt Schleicher. Wo es weniger energieintensive Alternativen gibt, gelte es diese zu nutzen. „Das wird überall Thema werden, womit sich hier für Österreich Marktchancen auftun.“