Den Kern Ihres Buches bildet die Annahme, dass die Wahrnehmung der Zeit etwas ist, das vom Verstand erzeugt wird. Etliche Faktoren sind an dieser Konstruktion beteiligt. Können Sie einige nennen?

CLAUDIA HAMMOND: Unser Zeitgefühl, also das Gefühl für das Vergehen der Zeit, wird von unserer Wahrnehmung geschaffen und nicht von Uhren. Manchmal verfliegt die Zeit und manchmal vergeht sie zäh, und das hat nichts damit zu tun, was uns eine Uhr sagt. Eine Mittagspause mit Freunden geht flugs vorüber. Aber wie lange dauern zwanzig Minuten, wenn man auf einen Zug warten muss? Die Hauptfaktoren für unsere Zeitwahrnehmung sind Emotionen. Dabei geht es vor allem darum, wie viel Aufmerksamkeit wir der Zeit an sich schenken. Im Englischen haben wir hierfür ein Sprichwort, „A watched pot never boils“ – ein Topf, den man beobachtet, kocht nie. Außerdem spielt es eine Rolle, wie viele neue Erinnerungen in dieser Situation geschaffen werden. Weil wir nämlich genau diese Summe als Richtlinie dafür verwenden, wie viel Zeit vergangen ist. Wenn man zum Beispiel vom Urlaub zurückkommt, von einem Ort, wo man noch nie war, wird es einem so vorkommen, als ob man wesentlich länger weg war, als man es eigentlich war. Können wir unser Zeitempfinden selbst beeinflussen?

Psychologin und BBC-Journalistin Claudia Hammond
Psychologin und BBC-Journalistin Claudia Hammond © (c) ©iBRODIEfoto

Ja, wenn man gelangweilt ist, schenkt man der Zeit an sich mehr Aufmerksamkeit, und das ist immer ein Rezept dafür, sie besonders langsam vergehen zu lassen. Deswegen sollte man vermeiden, darauf zu warten, dass sie vergeht.

Das macht man ja beim Warten. Warum warten wir so ungern?

Wir hassen es, wenn wir zum Warten gezwungen sind, weil wir uns dadurch ausgebremst fühlen. Egal, ob man nun auf ein Flugzeug wartet oder bis diese aktuelle Krise endlich vorüber ist. Wir haben das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, weil wir es nicht schaffen, die Zeit schneller vergehen zu lassen. Das Eigenartige an Wartezeiten oder dem Lockdown ist aber, dass sie jetzt in diesem Moment langsam vergehen. Aber wenn man zurückblickt, hat man das Gefühl, dass sie schnell vergangen sind. Damit können wir uns in der jetzigen Situation beruhigen, weil diese Zeit in der Zukunft in unserer Wahrnehmung schrumpfen wird und nicht quälend langsam vergangen sein wird.

Kann man die Zeit selbst positiv beeinflussen?

Ja, es gibt Techniken, mit denen man die Zeit schneller und langsamer vergehen lassen kann. Seit ich dieses Buch geschrieben habe und die neueste Forschung auf diesem Gebiet kenne, mache ich mir deswegen weniger Gedanken über die Zeit – auch wenn sie gefühlt wirklich zu schnell vergeht.

Warum ist die Zeit an sich ein so wichtiges Thema für den Menschen?

Weil sie es ist, die es uns erlaubt, zu planen, mit anderen zusammenzuarbeiten, und sie uns auch ein Gefühl für unser Altern schenkt. Manche Menschen schwören darauf, ganz ohne Uhr oder Blick auf ihr Smartphone zu leben. Aber in der Praxis ist so ein Leben schwer, weil wir uns ja auf Uhrzeiten verlassen, um unser Leben mit dem anderer zu koordinieren.

Gibt es einen Trick, um die Zeit zurückzudrehen?

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Einen Trick? Nein, aber in normalen Zeiten beschweren wir uns zum Beispiel oft, wie schnell die Zeit vergeht, vor allem, wenn es um unser Alter geht. Man kann den Lauf der Zeit aber verlangsamen, wenn man sie mit neuen und interessanten Aktivitäten füllt. Es ist wichtig, nicht zu viele Routinen zu haben. Weil es sich dann, wenn man auf diese Zeitspanne zurückblickt, länger und voller Erinnerungen anfühlen wird. Man sollte sich außerdem daran erinnern, dass man sich meistens einsam oder alleine gefühlt hat, wenn die Zeit langsam vergangen ist. Im Umkehrschluss ist es wieder ein sehr gutes Zeichen, wenn sie schnell vergeht. Weil es zeigt, dass man ein erfülltes, interessantes und sehr spannendes Leben führt. Und das ist etwas, was man in und nach dieser besonderen Phase sogar noch mehr schätzen sollte.