Stille Nacht. Spätestens, wenn sich am Heiligen Abend alle mit ihren Familien um den Christbaum versammeln, schleicht sie sich in die Herzen all jener, die alleine feiern müssen: bittere Einsamkeit, die mittlerweile schon den Beinamen „Volkskrankheit“ trägt.

Einer Studie der Europäischen Kommission zufolge haben 75 Millionen Menschen nur einmal im Monat Kontakt zu anderen Menschen. Die zunehmende Vereinsamung wurde in den vergangenen Jahren deshalb auch von der Wissenschaft als einer der Hauptfaktoren für die Gefährdung der psychischen und körperlichen Gesundheit erkannt. In Großbritannien hat man deswegen bereits vor zwei Jahren die ersten Schritte gesetzt und ein eigenes Ministerium für Einsamkeit installiert.

Einsamkeit macht krank

Präventiv einzuschreiten sei auf lange Sicht günstiger als sich mit den gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit auseinanderzusetzen, die gleichzusetzen sind mit Arbeitsstress und Rauchen. Die körpereigenen Abwehrkräfte werden geschwächt und die Anfälligkeit für Infektionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt an. Einsamkeit macht krank.

Zu Beginn muss man sich jedoch mit den Begrifflichkeiten auseinandersetzen. Es gilt zwischen der unfreiwilligen Einsamkeit und dem selbst gewählten Alleinsein zu unterscheiden. „Alleine ist man, wenn niemand anders im Raum ist, das wird von vielen mit der Möglichkeit, ,zur Ruhe’ und ,zu sich zu kommen’, assoziiert“, führt die Grazer Gesundheitspsychologin Doris Wolf aus. „Einsamkeit kann man hingegen nicht nur empfinden, wenn man alleine ist, sondern auch, wenn man von vielen umgeben ist. Es wird als Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens beschrieben.“

"Existenzielle Angst"

Auch Psychiater Michael Lehofer sieht in der Einsamkeit eine existenzielle Angst. „Einsame Menschen bekommen gleichsam keine Antworten von der Welt und verlieren daher das Gefühl einer existenziellen Sicherheit.“ Einsamkeit schlägt sich also auf Seele und Selbstwertgefühl.

Nun ist man schnell geneigt, Einsamkeit als ein Problem des hohen Alters zu sehen. Birgit Satke, Leiterin von „Rat auf Draht“ zeichnet aber ein anderes Bild: „Wir wissen aus unserer täglichen Arbeit, dass sich auch viele junge Menschen alleine fühlen. Jugendliche sind zwar über ihre Smartphones ständig miteinander vernetzt, die Sehnsucht nach echter Freund- und Gemeinschaft kann aber nicht über Facebook oder Instagram gestillt werden.“

"Erlernen von Mitgefühl beeinträchtigt"

Aktuellen Erhebungen zufolge erleben Acht- bis Zwölfjährige heutzutage täglich zwei Stunden reale Sozialkontakte, verbringen aber rund sieben Stunden vor einem Bildschirmmedium. Günter Klug, Präsident von pro Mente Austria: „Dadurch wird das Erlernen von Mitgefühl beeinträchtigt.“ Aber nicht nur die sozialen Medien würden laut Klug zur Vereinsamung beitragen. Der Präsident der Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit sieht die Hauptgründe für das Zunehmen der Einsamkeit in der Tatsache, dass immer mehr Menschen in Städten und Einzelhaushalten leben.

„Kontaktarmut ist Altersarmut“, erklärt Ingrid Korosec, Präsidentin des Seniorenbundes. „Die ältere Generation wird zum Opfer sinkender Gesprächsbereitschaft und Zuhörfähigkeit.“ In den Niederlanden geht man daher mit positivem Beispiel voran. In einer Supermarktfiliale gibt es seit einigen Monaten eine „Plauderkasse“, um den Redebedarf der oftmals betagten Kunden zu stillen. Mittlerweile sind 40 Filialen geplant, nachdem der erwünschte kleine Plausch beim Einkauf so großen Anklang findet.

"Frau Nachbarin, wie geht es Ihnen?"

Zurück zum Heiligen Abend an dem die verschiedensten Organisationen Veranstaltungen planen, um Einsamkeit zu lindern. Vielleicht kann aber der Einzelne schnell und unkompliziert mithelfen. Mit einem kurzen: „Frohe Weihnachten, Frau Nachbarin! Wie geht es Ihnen?“ Kleiner Aufwand, große Wirkung.