Das Smartphone dominiert das Leben vieler. Vor allem junge Menschen wollen zum Beispiel oft nicht mehr telefonieren und verschicken stattdessen lieber Sprachnachrichten. Kommt man vor lauter Sich-selbst-reden-Hören gar nicht mehr zum Zuhören?
Andreas Reiter: Menschen leben von sozialen Ritualen. Da gehört das Gespräch natürlich ganz zentral dazu. Und dieses folgt bestimmten Regeln. Ich glaube, dass wir sehr stark auf das Hören sozialisiert sind. Nun ist es aber so, dass die Digitalisierung dieses Hören durch das Sehen ersetzt. Wir hören nicht mehr zu, sondern sehen zu.

Welche Folgen hat diese Verschiebung für das gute alte Gespräch?
Ich denke, dass viele diese Aufmerksamkeit alleine schon von der Zeit her nicht mehr aufbringen können. Man sitzt im Café, hört zwar zu, aber sieht regelmäßig auf sein Handy. Ganz deutlich fällt das auch im Geschäftsleben auf. In einem Meeting schauen von zehn Leuten drei immer wieder einmal auf ihr Smartphone. Aber das heißt nicht, dass sie nicht zuhören. Das Gehirn adaptiert sich. Außerdem: Überall dort, wo es ein Defizit gibt, wird dieses wiederum mit Inszenierungen aufgehoben. Es ist ein Wesen der Gesellschaft, Lösungen anzubieten, wo Defizite entstehen. Wenn es Aufmerksamkeitsprobleme gibt, dann wird eben inszeniert. Zum Beispiel mit einer Achtsamkeitskultur, wo man stundenlang darüber spricht, von welchem Bauern die Produkte kommen. Oder auch beim Essen, was da für ein Aufwand betrieben wird. Auch Manufakturen sind wieder in. Wenn alles schneller und vergänglicher wird, dann nehmen die Dinge zu, die dauerhaft sind. Das ist auch die Erklärung für Tattoos, die ja mittlerweile flächendeckend verbreitet sind. Was kann man sich unter diesen Aufmerksamkeitsinszenierungen genau vorstellen?
In Wien gibt es zum Beispiel eine Kreativgruppe, die die „Vienna Coffeehouse Conversations“ inszenieren. Man setzt sich dabei an einen Tisch mit Wildfremden und bekommt eine Liste mit Fragen wie „Was war der Moment Ihres Lebens, den Sie am meisten bedauert haben?“. Es handelt sich um sehr intime Fragen, die man mit einem Fremden nicht unbedingt besprechen möchte. Aber es fällt einem in dieser Inszenierung vielleicht leichter.

Man sagt ja, „jemandem Aufmerksamkeit schenken“. Sie ist also ein Geschenk, etwas Wertvolles. Wie sieht dieses „Aufmerksamkeit schenken“ heute aus?
Schauen Sie sich die typischen Weihnachtsgeschenke an. Man schenkt der Mama einen Zeitgutschein oder der Freundin ein Wochenende im Salzkammergut. Eben auch das, was kostbar und bedroht ist, nämlich diese gemeinsame Zeit, wird dann in ein Geschenk verpackt. Aber wenn man Aufmerksamkeit in dieser Form schenkt, dann wäre es schon sinnvoll, dann nicht mit dem Handy in der Hand rund um den Altausseer See zu spazieren.

Wächst hier eigentlich eine Generation an immer abgelenkten Nichtzuhörern heran?
Es ist alles sehr fragmentiert, parallel und überkreuzend. Man hört ein bisschen zu bei der Besprechung, ein bisschen schaut man am Handy nach. Der eine schafft das besser, der andere weniger. Diese „Digital Natives“ sind ja schon so konditioniert. Sie meinen ja schon genau zu wissen, dass der andere eh keine Zeit hat, also schicken sie ihm schnell eine Nachricht, die er dann anhören kann, wenn er Zeit hat. Vielleicht ist das einerseits eine vorauseilende Strategie. Andererseits glaube ich aber schon, dass dadurch vielleicht so etwas wie eine gewisse Scheu entsteht. Das kommt hinzu, ist aber nicht der Hauptgrund. Bleiben wir bei der Scheu vor dem Sprechen: Verlernen wir so nicht, zu argumentieren und zu diskutieren – beides ist essenziell für Dialog und Gesellschaft?
Es gibt in den sozialen Medien durchaus Feedback. Aber es läuft eben nicht mit einem direkten Gespräch ab. Diese junge Generation will eine ganz starke Feedbackkultur. Sie sind sogar frustriert, wenn sie kein Feedback bekommen. Dialog heißt bei ihnen aber nicht zwingend, dass man telefoniert. Feedback kann ja nicht nur verbal stattfinden. Auch Gespräche kann man anders führen. Zum Beispiel visuell – mit Emojis. Eine norddeutsche Hotelgruppe hat eine Stellenanzeige mit Emojis gestaltet. Sie versuchen über visuelle Symbole Aufmerksamkeit zu generieren. Sie gehen auf diese – kulturpessimistisch könnte man auch sagen – „Sprachlosigkeit“ ein. Die Jungen lesen nicht mehr, wir haben aber noch die Kommunikationsquelle Internet, und auf die muss man eingehen.

Können diese „Sprachlosigkeit“ und die erwähnte Leseträgheit nicht unangenehme Folgen für Gesellschaft und Miteinander haben?
Die Kultur verändert sich. Junge Menschen lesen, aber sehr fragmentiert. Zum Beispiel kurze Geschichten in den sozialen Netzen, aber eben nicht Bücher im herkömmlichen Sinn. Nie zuvor wurde so viel Information aufgesaugt wie heute. Nur wie und welche Qualität sie hat, sind ein anderes Thema.