„The Schlager Hit Parade“ heißt einer der zehn neuen Songs auf dem nunmehr fünfzehnten Studioalbum der auf unverkrampfte Art junggebliebenen Pet Shop Boys. Neil Tennant, im Juli wird er tatsächlich 70, singt in der melodisch leicht an die Beatles erinnernden Nummer fröhlich über „Glühwein, Wurst and Sauerkraut“, außerdem sei in Deutschland für ihn gefühlt das ganze Jahr hindurch Weihnachtsmarkt.

„In der Nähe unseres Berliner Apartments gibt es eine Bar, wo sie sehr gerne Schlager spielen“, erzählt Tennant beim Interview in London über seine Feldforschung. „Wir gehen manchmal dorthin, hören dieser irgendwie lächerlichen Musik zu und genießen sie.“ Seit Jahren besitzen die beiden eine Wohnung in der Stadt, wo sie, oft gemeinsam in einer Art Edel-WG, einen Teil ihrer Zeit verbringen, insbesondere das 2020 veröffentlichte Album „Hotspot“ war stark von Berlin inspiriert sowie in den dortigen Hansa Studios aufgenommen. Im Lied selbst gehe es jedoch weniger um die musikalisch-kulinarischen Vorlieben der Deutschen, sondern um die Konsequenz, mit der sie nach dem Krieg lieber nach vorne als in die Vergangenheit geschaut hätten, was auch für die Pet Shop Boys gelten würde. „Einen Hauch von Nostalgie erlauben wir uns auch. Aber wenn es zu viel wird, ziehen wir eine Art innere Nostalgie-Notbremse.“ Chris Lowe, der immer weniger schweigsame Schweiger der beiden, greift derweil feixend das Stichwort Schlager noch einmal auf. „Viele Schlagersongs entstehen ja in den Hansa Studios. Der Ort ist berühmt für Bowie und Depeche Mode, aber ich wäre nicht überrascht, wenn die Flippers auch schon dort waren.“ Die Flippers seien ohnehin seine Lieblingsschlagerband, so der 64-Jährige. „Ich habe mal ein ganzes TV-Konzert mit denen gesehen. Die Musik ist sehr gut produziert.“

In London „das Leben entdeckt“

Was selbstverständlich seit vierzig Jahren auch auf die Musik der Pet Shop Boys zutrifft. „nonetheless“ haben sie in London aufgenommen, nach drei Alben mit dem Produzenten Stuart Price haben sie dieses Mal mit James Ford (Arctic Monkeys, Depeche Mode) zusammengearbeitet. Es ist ihnen vorzüglich gelungen, das typische Gleichgewicht zwischen Melancholie und Euphorie perfekt auszutarieren. Auf der einen Seite gibt es warme, aufbauende Songs wie das zwanzig Jahre alte „Feel“ oder „The Secret Of Happiness“. Auf der anderen steht das leicht wehmütige, an den ersten großen Welthit „West End Girls“ erinnernde „New London Boy“, das von Tennants Umzug in die Hauptstadt handelt. „Ich kam Mitte der Siebziger von Newcastle nach London und entdeckte das Leben“, sagt er. „Ich war Teil einer Glam-Rock-Clique, wir probierten uns aus, färbten uns die Haare, wären gerne so cool wie David Bowie gewesen.“ Auch seine Homosexualität habe Neil in dieser Zeit entdeckt, das geschah „mit einer Mischung aus Nervosität, Angst und Neugier. Aber auch mit viel Spaß.“ Die erste Single „Loneliness“ beleuchtet inklusive des dezidiert queeren Videos die gelegentlichen Anflüge von Einsamkeit zu jener Zeit, „vor allem wollten wir hier aber eine flotte Melodie mit einem dunklen Text paaren.“

Auffällig sind die vielen geschichtlichen Bezüge. „Feel“ beziehe sich auf den Werdegang des britischen Doppelagenten George Blake, der in London aus dem Gefängnis ausbüxte und nach Moskau floh, das poppige „Dancing Star“ beschreibt das Leben des sibirischen Balletttänzers Rudolf Nurejew, der den umgekehrten Weg einschlug und bei einer Europareise auf dem Pariser Flughafen über die Absperrungen sprang und – erfolgreich – um Asyl bat. Trotz der Wehmut ist „nonetheless“ also zuvorderst eine optimistische Platte, das zeigt sich nicht zuletzt im hinreißend herrlichen Pandemie-Pop von „Why Am I Dancing“. „Ich habe hemmungslos gerne allein in meiner Küche getanzt“, sagt Neil Tennant, „ich hätte auch nackt sein können, und niemanden hätte es gestört.“ Was folgt ist ein Gefrotzel über die unterschiedlichen Schamgrenzen von Briten und Deutschen, das in Neils Nacktbadebekenntnis gipfelt. „Einmal bin ich ohne Kleidung in einem See in Potsdam geschwommen. Der Abend war einfach zu schön, um prüde zu sein.“