Amsel im Brombeerstrauch

Etero musste in ihrem Leben in der georgischen Provinz schon viele bittere Beeren schlucken. Die 48-jährige Ladenbesitzerin verkauft Waschmittel und Haarfärbemittel und lebt – anders als die meisten in ihrem Dorf alleine. Weil sie es so wollte. Als sie eines Tages vor dem Brombeerstrauch fast abstürzt, startet sie neu durch und verführt den Waschmittelhersteller Murman. Es ist der erste Sex für die eigenwillige Frau, die sich weder um patriarchale Strukturen, Schönheitsnormen noch um vorgegebene Verhaltensweisen schert. Die beiden beginnen eine Affäre, er nennt sie „Mädchen“. Elene Naveriani (“Wet Sand“) erzählt mit kargen Dialogen und in blassen Farben eine widerborstige und dabei zärtliche späte Coming-of-Age-Geschichte einer Frau in der beginnenden Menopause. Dem betörend-bittersüßen Spiel von Eka Chavleishvili kann man sich nicht entziehen. Ein kleiner, feiner Film, der die große Sehnsucht in aller Wildheit stillt. (js)
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Fragile Memory

Es sind außergewöhnliche Archivaufnahmen, die der ukrainische Regisseur Ihor Ivanko in einer staubbedeckten Garage vorfindet: Erinnerungen an eine Zeit, die Großvater Leonid Burlaka demenzbedingt beinahe vergessen hatte. Der war einst als Kameramann für die Odessa Studios tätig, die das Kino der Sowjetunion mitprägten. Die verloren geglaubten Rollen lässt sein Enkel rekonstruieren und lernt so den Familienstammbaum aus neuen Blickwinkeln kennen. Mithilfe des Materials unternimmt Ivanko einen persönlichen Streifzug durch die Vergangenheit seines Opas – und durch die Historie des eigenen Landes. Ein Dokument über die Zerbrechlichkeit der Erinnerung und der Kraft des bewegten Bildes als zeitlose Momentaufnahme. (pog) ●●●●○

Zwischen uns das Leben

Mathieu (Guillaume Canet) ist ein beliebter Pariser Filmstar. Das Leben scheint gut zu ihm zu sein, dennoch plagt ihn in einem Spa-Hotel an der bretonischen Küste die Midlife-Crisis. Inmitten von Massagen bekommt er eine Nachricht von Alice (Alba Rohrwacher). Vor 15 Jahren, vor seinem Ruhm, waren er und die Klavierlehrerin ein Paar. Nun wohnt sie in dem Ort, in dem das Hotel steht. Spaziergänge am Strand lassen bald alte Gefühle wieder aufkeimen. Ruhig und vor dem gewaltigen Hintergrund der Küstenlandschaft inszeniert, gelingt Stéphane Brizé eine feinfühlige Reflexion über Entscheidungen, die wir im Leben treffen und den Folgen, denen wir uns stellen müssen. (sg) ●●●●○

Umberto Eco: Eine Bibliothek der Welt

Er ist einer der bekanntesten italienischen Schriftsteller der Neuzeit und schuf Klassiker wie „Der Name der Rose“: Umberto Eco (1932–2016). Der Philosoph akkumulierte auch eine riesige private Bibliothek. 30.000 zeitgenössische sowie 1500 antike und seltene Bücher finden sich dort. Sie sind eins der vielen Vermächtnisse der intellektuellen Instanz. Regisseur Davide Ferrario folgt dem Schicksal dieser Sammlung. Mit Ecos Sohn, der Tochter, dem Enkel, wandert er inmitten emotionaler Streichermusik durch die Sammlung, hebt faszinierende Schätze aus. Der Film ist nicht nur eine Ode an Eco, sondern auch eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort, das konservierte Wissen, die Kreativität. (sg) ●●●●○