Die Buchvorlage und der Kinofilm aus 2008 thematisieren eine faschistische Organisation, in der Serie geht es hingegen um eine antikapitalistische Gruppe gegen das Establishment. Warum dieser Wechsel?
Mark Monheim: Das hat eine lange Geschichte. Es gab verschiedene Konzepte, wie man eine Neuadaption der „Welle“ machen könnte und da hat man sich bei Ansätzen, die näher am Original dran waren, immer wieder verhakt. Wir hatten auch das Gefühl, um eine aktuelle Diskussion auszulösen ist es spannender, zunächst einmal weit weg von dem Ursprungssetting zu gehen.

Der Ansatz sorgte schon vorab für kritische Stimmen.
Mark Monheim: Die Diskussionen kochen im Netz ja schon hoch. Viele meinen zu wissen, worum es in „Wir sind die Welle“ geht, obwohl sie ja nur den Trailer gesehen haben. Die einen meinen, dass wir jetzt  Linke Gewalt verherrlichen, die anderen, dass wir Linke-Protestkultur anprangern. Ich fand die Drehbücher, als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, ziemlich intelligent. Erst einmal vom Original wegzugehen, nur um dann zu Themen zurückzukehren, um die es letztlich immer geht, wenn jemand ideologisch nur noch einen ganz verengten Blick hat und plötzlich glaubt, Gewalt wäre legitim. Da sind die Mechanismen zwischen Faschismus, Terrorismus und religiösem Fanatismus sehr ähnlich. Ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen, von Macherseite her antifaschistisch, antirassistisch, feministisch zu sein, ohne aber auf dem linken Auge blind zu sein.

Die Nähe zu Bewegungen, von „Fridays for Future“ bis „Extinction Rebellion“ liegt nahe. Wie aktuell ist „Wir sind die Welle“?
Mark Monheim: Hier ist Fernsehen einmal relevant und aktuell. Ich gucke auch gerne und sehr viele Serien, aber das sind eher Formate, wo man aus der wirklichen Welt in Fantasy-, Mafiawelten in Krimiwelten oder, wie in „Mad Man“, in die Vergangenheit flieht. Serien, die wirklich akut mit dem zu tun haben, was auf dieser Welt los ist, gibt es nur relativ wenige. Deswegen sind wir natürlich froh, dass wir gerade mit so einem jungen Format, vielleicht auch unseren Teil dazu beitragen, dass junge Leute ihre Zukunft in die Hand nehmen, nicht nur in virtuelle Welten abtauchen sondern auch sehen, dass filmische Fiktion mit dem Leben da draußen zu tun hat.

Was auffällt: Beim Cast wurde auf junge, aber zugleich erfahrene Darsteller gesetzt.
Mark Monheim: 68 Drehtagen bedeuten, durch eine enorme körperliche und psychische Belastung zu gehen. Jemanden, der das zum ersten Mal macht und keine richtige Vorstellung hat, was auf ihn zu kommt, würde das vermutlich an seine Grenzen bringen. Jetzt kommt noch dazu, dass bei uns viel in der Nacht, draußen und mit Action gedreht wird, teils bei widrigen Bedingungen mit tagelangem Regen und Eiseskälte. Das ist was anderes, als ein Fernsehspiel, wo man sich in gut geheizten Räumen am Abendbrottisch unterhält.

Warum gibt es zwei Regisseure?
Mark Monheim: Weil so ein Projekt sonst kaum zu bewältigen ist. So hatte meine Co-Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu, die zunächst die Episoden eins und zwei inszeniert hat, danach schon Zeit, sich mit dem Schnitt auseinanderzusetzen. Die Zeitkorridore bei Netflix waren sehr, sehr eng gesteckt. Wir haben bis Ende Mai gedreht und dann sehr wenig Zeit für die Postproduktion, Ende August musste alles fertig sein, damit die internationale Synchronisation, Betitelung et cetera noch gemacht werden konnte.

Mark Monheim teilte sich die Regie mit Anca Miruna Lăzărescu.
Mark Monheim teilte sich die Regie mit Anca Miruna Lăzărescu. © Netflix/Martin Walz

Im linearen Fernsehen gibt es für jedes Projekt eine Quotenerwartung. Wie ist das bei Netflix: Wissen Sie als Regisseur, ab wie vielen Aufrufen „Wir sind die Welle“ ein quantitativer Erfolg ist?
Mark Monheim: Wenn wir das wussten (lacht). Netflix ist ja was interne zahlen anlagt, wenig freigiebig. Die Reaktionen auf den Trailer waren sicher ein Zeichen, dass es ein Interesse gibt und dass der Ursprungsfilm noch vielen in Erinnerung ist. Das ist auch eine Antwort auf die Frage, warum wir das überhaupt gemacht haben, die Serie nicht anders genannt haben: Das hat sicherlich auch ein wenig mit Marketing zu tun, weil man weiß, dass der Film damals weltweit viele Leute erreicht hat und das Buch und das Experiment vielen Leuten bekannt sind. Natürlich spielen wir ein bisschen mit der Erwartungshaltung und mit dem Ärger der Leute, die vielleicht fragen: dürfen die das überhaupt?