Arschloch!, tönt es aus den Tausenden Kehlen im Publikum, wenn Rockbands wie Die Ärzte (im Original) oder Die Toten Hosen (in der Coverversion) den „Schrei nach Liebe“ intonieren. Gerichtet ist das 1993 veröffentlichte Lied an die saudummen Faschisten. Jene erschütterten in dieser Zeit mit Anschlägen auf Flüchtlingsheime in Lichtenhagen, Mölln und Solingen.
Für viele Musiker war dies Motiv, zu Feder und Gitarre zu greifen. An Aktualität haben die Texte nichts verloren: Unzählige Asylheime wurden in Deutschland in den letzten Monaten in Brand gesetzt.

Jetzt lässt er die Sau erst raus und geht zum Asylantenhaus.
Dort schmeißt er eine Scheibe ein, denn jeder Neger ist ein Schwein.
Dann zündet er die Bude an, ein jeder tut halt, was er kann. Beim Thema „Deutsche Gründlichkeit“, da weiß er voll Bescheid.

Mit diesem Liedtext aus „Sascha . . . ein aufrechter Deutscher“ waren die Toten Hosen Ende 1992 unter den ersten Musikern, die zum Lichtenhagener Pogrom Stellung nahmen. Im Booklet der Single kündigten sie zudem an: „Die Verkaufserlöse der Platte werden der Aktion ‘Düsseldorfer Appell gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus’ zur Verfügung gestellt.“

„Macht die Augen auf!“

Vor allem in der Punkszene taten viele musikalisch ihren Unmut kund. Niemand helfe den Frauen und Kindern, auf die eingeschlagen wird, brüllte der Sänger von „Dritte Wahl“. Und: Ihr meint, das war vor vielen Jahren? Macht die Augen auf! Ähnliche Töne auch bei den Goldenen Zitronen“ oder bei But alive . . ., als der heutige Indierocker Markus Wiebusch als Frontsänger schrie: Nur Idioten brauchen Führer.

Damals wie heute kommt auch von überraschender Seite scharfe Kritik an den Attacken auf Flüchtlinge. 1993 kritisierten die selbst oft ins rechte Eck gestellten Böhsen Onkelz in ihrem Song „Deutschland im Herbst“, wie die braune Scheiße tötet. Wie hirnlose Parolen und rassenreine Lieder gesungen werden, feige Morde geschehen und Kinderblut fließe.
Auch jetzt äußerte sich mit Frei.Wild eine Band mit rechtem Ruf deutlich auf ihrer Homepage: Wer Menschen, die fliehen mussten, hier wieder bedrohe und terrorisiere, der sei „ein asoziales Arschloch ohne Verstand und, viel schlimmer, ohne Herz und hassgesteuert“.

Eine Minute Stille

Dennoch ist es 2015 trotz der vermehrten Angriffe auf Flüchtlinge und der Aktualität des Asylthemas noch vergleichsweise ruhig in der deutschsprachigen Musikszene. Noch überwiegen Symbole – etwa von Raoul Haspel, der eine Minute Stille („Schweigeminute Traiskirchen“) an die Spitze der heimischen Charts setzte. Oder von den Künstlern des Grazer Nuke-Festivals, die das Fest gemeinsam mit 24.000 Besuchern für eine Trauerminute, die den auf der Flucht gestorbenen Menschen gewidmet war, unterbrachen.

Der alte Wessely

Eine Erfindung der frühen 90er ist es nicht, mit Musik gegen Rechtsradikalismus aufzubegehren. Ein Beispiel: Georg Danzers „alter Wessely“ richtete sich schon 1980 an jene 140.000 Österreicher, die bei der Bundespräsidentschaftswahl den rechtsextremen Kandidaten Norbert Burger wählten. Auffallend ist jedoch die Fülle der entstanden Lieder zwischen 1992 und 1993.

Der musikalische Aufschrei beschränkte sich dabei aber nicht nur auf punkige Töne. Liedermacher Konstantin Wecker, der auch jetzt wieder wortgewaltig auf Tour ist, appellierte 1993 am Album „Uferlos“, sich einzumischen: Sage Nein! Auch S.T.S. widmete sich im 1992er-Album „Auf a Wort“ in mehreren Liedern der rechten Problematik. Denn: Es fangt genauso an wie vor sechzig Jahr’.

Auch Wolfgang Niedecken wollte 1994 mit seiner Band BAP ein Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit setzen. Zum Konzert „gegen Rassismus und Neonazis“ kamen 1992 100.000 Menschen nach Köln. Doch die Musiker ernteten dafür auch Kritik: Es sei falsch, mit dieser Thematik Hits zu vermarkten. Dem „Spiegel“ erzählte Niedecken 1994, dass es für ihn das traurigste Erlebnis seiner Musikkarriere gewesen sei, sich für etwas rechtfertigen zu müssen, was gerade in diesen Zeiten selbstverständlich hätte sein sollen.