Mit ihrer Gründung am 8. August 1703 galt die "Wiener Zeitung" lange als älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. "Doch anstatt auf diesem Schatz im Eigentum der Republik aufzubauen und diesen weiterzuentwickeln, zerstörten die Regierungsparteien ÖVP und Grüne die 'Wiener Zeitung' und ihren etablierten Online-Auftritt. Beides wurde am 30. Juni eingestellt", kritisiert die Journalist:innengewerkschaft in der GPA vor dem morgigen 320. Jubiläum der Zeitung in einer Aussendung.

ÖVP und Grüne hätten das Ende der "Wiener Zeitung" der "EU in die Schuhe" geschoben, heißt es weiter. Die Grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger habe behauptet, man sei mit dem Umstand konfrontiert gewesen, "eine EU-Richtlinie umsetzen zu müssen, die 2019 beschlossen wurde und mit 2021 hätte umgesetzt werden müssen, nämlich jene, dass es keine Pflichtveröffentlichungen mehr im Amtsblatt gibt". Die Pflichtveröffentlichungen waren Haupteinnahmequelle der Wiener Zeitung GmbH. Die Gewerkschaft zitiert nun den Medienrechtler Hans Peter Lehofer, der gesagt haben soll: "Rechtlich zwingend war die Abschaffung der Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt zur 'Wiener Zeitung' nicht."

Das Ende der Pflichtveröffentlichungen sei eine rein innenpolitische Entscheidung gewesen, die bereits im türkis-blauen Regierungsprogramm 2017 verankert gewesen sei und von ÖVP und Grünen 2020 übernommen wurde. "Die Grünen als Nachfolge-Juniorpartner vollzogen den Tod der 'Wiener Zeitung'. Um davon abzulenken, musste die EU als Sündenbock herhalten", kritisiert Eike-Clemens Kullmann, Vorsitzender der Gewerkschaft in der GPA. Er spricht im Namen gekündigter Redakteurinnen und Redakteure, die "einen Maulkorb" von der Wiener Zeitung GmbH erhalten haben.

Die neue Online-Ausgabe erhalte, so Kullmann, künftig 16,5 Millionen Euro aus dem Bundesbudget. Die Gewerkschaft spart nicht mit Kritik: "Alle neuen Projekte hätten auch in der Vergangenheit umgesetzt werden können. Wieso hat es Geschäftsführer Fleischhacker nicht gemacht?" Und weiter heißt es: "Nun wurde die unbequeme, weil unabhängige und nicht vom Kanzleramt steuerbare Redaktion abserviert. Zwei Drittel der Redakteurinnen und Redakteure mussten laut Gewerkschaft gehen, darunter die Chefredaktion und sämtliche Ressortleiterinnen und Ressortleiter." Fast alle Beschäftigten im Layout wurden gekündigt, Bereiche wie Grafik, Korrektorat und Sekretariat komplett aufgelöst.