Katastrophen, Skandal, Politik und Sex. Das Einmaleins der "Bild"-Zeitung findet ab 22. August in einem gleichnamigen Fernsehsender seine audiovisuelle Fortsetzung. Wenige Wochen vor der deutschen Bundestagswahl startet der Springer Verlag eines der spannendsten Medienprojekte der letzten Jahre.

Programmchef Claus Strunz, bekannt als Moderator des Sat.1-Frühstückfernsehens, beansprucht für den "Bild"-Sender ein Alleinstellungsmerkmal. Man plane weder ein Vollprogramm, noch sei man ein klassischer Nachrichtensender: "Wir selber verstehen uns als ein eigenes Genre – als Geschichten-Sender." Ob wiederum der Sender eine lange Geschichte haben wird, liegt am Durchhaltevermögen des Verlags und am Interesse des Publikums. Bestenfalls gelingt ein Angriff auf die unter Druck stehenden öffentlich-rechtlichen Sender und ein Abschöpfen der milliardenschweren Werbeetats für Bewegtbild.

Boulevardzeitungen und Fernsehen, das ist eine immer öfter logische Kombination. "Bild" passe "zu keinem Medium besser als zum Fernsehen", erklärt Chefredakteur Julian Reichelt, für den der Senderstart eine willkommene Ablenkung von den Vorwürfen – ein mögliches Fehlverhalten gegenüber Frauen – ist, die ihn Anfang des Jahres in Misskredit brachten.

Das Herzstück von "Bild"-TV sollen die stundenlangen Live-Strecken in "Bild live" von 9 bis 14 Uhr bilden. Danach folgen Dokumentationen, Talksendungen wie "Die richtigen Fragen", intensive Fußballberichterstattung am Wochenende mit Marcel Reif und freilich jederzeit Live-Einstiege, je nach Ereignislage. Und die Ereignislage ist bei der "Bild" nie anders als skandalös, spektakulär oder zumindest spärlich bekleidet. Claus Strunz wünscht sich "eine Sogwirkung", die dazu führt, dass "man den Sender am besten immer laufen lässt, weil man sonst etwas Wichtiges verpasst." "Bild"-TV als große Erregungs- beziehungsweise Geschichtenmaschinerie, so stellen sich das "Bild" und sein Chefredakteur Reichelt die Zukunft des Senders vor.

Newsrooms verändern sich

Trotz massiver Auflagenrückgänge – von 3,5 Millionen 2012 auf 1,6 Millionen Stück 2021 – agiert die "Bild" aus einer Position der Stärke: Noch immer ist das Blatt die mit Abstand auflagenstärkste deutsche Tageszeitung. Größer als die Marktmacht war ohnehin immer die Selbstüberschätzung: "Wir zeigen die Wahrheit, egal wem sie wehtut", heißt im grellen Werbespot für das neue TV-Angebot. Oder auch: "Wir haben keine Angst vor den Mächtigen." Erleichtert wird der Schritt ins Fernsehen durch eine alle Medien betreffende Verschränkung der Plattformen: Zeitung, Online, Radio und TV-Sender wachsen zusammen, entstehen in einer Redaktion. Keine Zeitung kommt heute ohne Videos aus – der Schritt zum eigenen Sender ist trotzdem ein großer.

Österreichs Boulevard kassiert Millionen

Hierzulande hat der streitbare Medienmanager WolfgangFellner auch diesen Trend früh erkannt. Sein vor fünf Jahren gegründeter Boulevard-Nachrichtensender oe24.tv wächst stark und erreichte im Juli bei den 12- bis 49-Jährigen 1,5 Prozent Marktanteil. Ein guter Wert, den man sich beim deutlich seriöseren Konkurrenzsender Puls 24 nur wünschen kann. Vor zwei Jahren zog die "Kronen Zeitung" mit krone.tv nach.
Werbegelder sind dabei nur ein Anreiz von mehreren. Auch die Millionen der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH ziehen den Boulevard an: Allein oe24.tv erhielt in den vergangenen fünf Jahren 10,2 Millionen Euro an Privatrundfunkförderung. Zum Vergleich: ATV durfte sich im Vergleichszeitraum über 8,6 Millionen freuen, das erheblich jüngere krone.tv über 5,3 Millionen.

Dazu kommt die boulevardlastige Inseraten-Vergabe. Eine Studie des Medienhaus Wien kam jüngst zum Schluss, dass die großen österreichischen Gratiszeitungen zwischen 20 und 40 Prozent ihrer Umsätze mit Erlösen aus der öffentlichen Hand erwirtschaften.