Der rechtsnationale, ungarische Regierungschef ViktorOrban macht erneut im Ausland Stimmung gegen die EU. In einem ganzseitigen Inserat in der Tageszeitung "Die Presse" (Mittwoch) kritisiert Orban, dass Brüssel einen "Superstaat" errichten wolle, zu dem niemand die "Ermächtigung" gegeben habe. Belgische Zeitungen haben es laut Berichten abgelehnt, die Anzeige zu veröffentlichen.

"Ausdrücklich pro-europäische" Blattlinie

Die Tageszeitung "Die Presse" betonte in einer Stellungnahme gegenüber der APA, dass ihre Blattlinie "ausdrücklich pro-europäisch ausgerichtet" sei. "Sie tritt für die parlamentarische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sowie für Meinungsfreiheit ein", hieß es in einer von Chefredakteur Rainer Nowak und Geschäftsführer Herwig Langanger gezeichneten Erklärung. Man wolle Leser objektiv und so vollständig wie möglich informieren, "Stellung zu nehmen und Kritik zu üben" werde als "unveräußerliches Recht" gesehen. "Jegliche externe, werbliche Kommunikation, die nicht gegen (Grund-)Gesetze verstößt, wird gemäß oben genannten Grundsätzen, sowie stets im Rahmen der gesetzlichen Kennzeichnungspflicht, auch im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit veröffentlicht", hieß es konkret zum Orban-Inserat.

Bissiger Leitartikel am Donnerstag

Erschienen am 7. Juli in der "Presse"
Erschienen am 7. Juli in der "Presse" © Die Presse

In ihrer Donnerstagsausgabe publizierte die Zeitung eine umfangreiche "Liste von Orbans Verfehlungen" sowie einen bissigen Leitartikel mit dem Titel "Popanz, Populismus und Paranoia: Im Rausch der Illiberalität". Darin wird das Inserat als "Provokation" bezeichnet und es wird der Scheinwerfer auf die Lage der Medien in Ungarn gerichtet: "Wäre es möglich, dass beispielsweise die Regierung Luxemburgs in den führenden Zeitungen Ungarns Inserate schaltet, um die ungarische Bevölkerung darüber aufzuklären, dass gleichgeschlechtliche Liebe und Kinderschändung nichts miteinander zu tun haben?"

Nationale Parlamente müssten gestärkt werden, heißt es in dem Inserat mit dem Titel "Über die Zukunft der Europäischen Union. Ungarns Vorschläge", das von Orban selbst - nur mit Namen nicht aber mit seiner Funktion als ungarischer Regierungschef - unterzeichnet ist. Das kommende Jahrzehnt werde das "Zeitalter gefährlicher Herausforderungen" sein, prophezeit der Vorsitzende der rechtsnationalen Fidesz-Partei. "Massenhafte Migration und Pandemien" drohten, "wir müssen die europäischen Menschen schützen", forderte er. Integration sei kein Mittel und kein Selbstzweck. Aus den Grundlagenverträgen der EU müsse deshalb die Zielsetzung der "immer engeren Einheit zwischen den Völkern Europas" gestrichen werden.

Gemeinsame wirtschaftliche Erfolge würden der europäischen Integration Kraft geben, doch "wenn wir gemeinsam nicht erfolgreicher sein können als jeder für sich selbst, dann ist dies das Ende der Europäischen Union", konstatiert Orban.

EU-Parlament als Sackgasse

"Wir müssen die europäische Demokratie wiederherstellen", lautet ein weiterer Vorschlag Ungarns. Das EU-Parlament habe sich als "Sackgasse" erwiesen, es vertrete ausschließlich die eigenen ideologischen und institutionellen Interessen. "Man muss die Rolle der nationalen Parlamente vergrößern", so Orban, der selbst einer "illiberalen Demokratie" das Wort redet.

Auch in Skandinavien hat Orban solche Inserate geschaltet, in denen er seine Vision einer zukünftigen Europäischen Union darlegt. In Dänemark veröffentlichte die konservative "Jyllandposten" das ganzseitige Inserat des ungarischen Premiers, in Schweden das Wirtschaftsblatt "Dagens Industri". Dessen Chefredakteur Peter Fellmann rechtfertigte die Veröffentlichung mit der liberalen Tradition der Tageszeitung. Die Entscheidung sei aber nicht leicht gefallen, so Fellmann gegenüber dem Sender SVT.

Laut dem schwedischen TV-Bericht haben in Belgien sämtliche Zeitungen das Orban-Inserat dagegen abgelehnt und zum Teil auch die Anfrage kritisch in eigenen Artikeln kommentiert. So reagierte etwa "De standaard" in einem Leitartikel und mit Blick auf das gegen sexuelle Minderheiten gerichtete, ungarische Gesetz mit einer ganzseitigen Regenbogenflagge und dem Text: "Lieber Viktor Orban, Gesetze sollten nie einen Unterschied zwischen Liebe und Liebe machen". Laut Karas verweigerten Zeitungen in insgesamt drei Ländern die Inserate des ungarischen Regierungschefs.

Karas spricht von Negativ-Premiere

Der ÖVP-EU-Parlamentarier OthmarKaras bezeichnete die Medienkampagne Orbans am Mittwoch gegenüber der APA als "skandalös" und forderte eine "lückenlose Aufklärung" über deren Finanzierung. Die ungarische Regierung habe hier missbräuchlich Gelder der eigenen Steuerzahler gegen den Lissabon-Vertrag verwendet, sagte Karas am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz. Die Aktion trage zur "Spaltung und Polarisierung" bei und beinhalte eine Absage an europäische Werte, insofern erinnere sie ihn an die Brexit-Kampagne, meinte der EU-Mandatar.

Besonders empörend sei für ihn, dass die Inserate eine "bewusste Provokation" anlässlich der derzeit laufenden Debatte über Rechtsstaatlichkeit im EU-Parlament seien. Eine solche "Attacke" gegen europäisches Recht und europäische Werte habe es "in dieser Form seit der Gründung der EU noch nie gegeben", betonte Karas. Die EU könne deshalb nicht zur Tagesordnung übergehen und müsse "sehr klar machen, dass sie gegen diese Vorgangsweise vorgeht".

"Antidemokratische Stimmungsmache"

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, bezeichnete das Inserat als "antidemokratische Stimmungsmache" und "Frontalangriff auf den Parlamentarismus in Europa". Es zeige einmal mehr, wie wenig Orban an den europäischen Grundwerten liege und dass das Europaparlament zu Recht gegen dessen autokratischen Bestrebungen vorgehe. "Orbans EU-Kritik ist und bleibt ein bloßes Strohmann-Argument, um von Korruption und Demokratierückbau im eigenen Land abzulenken", so Vana. Noch klarer habe Orban seine Antipathie gegenüber Demokratie und Rechtsstaat nicht zum Ausdruck bringen können, meinte auch Thomas Waitz, Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen. Die Inserate seien "ein verzweifelter Versuch Orbans, sich in ganz Europa als Opfer darzustellen, während er mit seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz die Demokratie in Ungarn Stück für Stück abbaut".

Das Verhältnis zwischen Ungarn und der EU ist seit Jahren gestört, vor allem wegen anhaltender Debatten um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Korruption und Einschränkung der Medienfreiheit unter Orbans Regierung seit 2010. Jüngst sorgte ein LGBTIQ-feindliches ungarisches Gesetz für scharfe Kritik vieler EU-Staats- und Regierungschefs sowie der EU-Kommission. Seit 2018 läuft ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn.