"Deutsche Hörer“, begann ThomasMann die Ansprachen an seine Landsleute. Selbst war er im Exil, auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Wenn sich der Literat zwischen 1940 und 1945 in insgesamt 55 kurzen Ansprachen mahnend der deutschen Bevölkerung mitteilte, tat er dies natürlich über den Radiokanal der BBC, jenem Sender, der auch in Kriegszeiten noch verlässliche Säule der britischen Selbstverständlichkeit war.

Doch die British Broadcasting Corporation, kurz BBC, dieses weltumspannende Aushängeschild der früheren Kolonialmacht, ist in Ungnade gefallen. Insbesondere, aber freilich nicht nur in der Downing Street, wo der britische Premierminister Boris Johnson die Finanzierung auf ein Subskriptionsmodell (wer sehen will, muss zahlen) umstellen möchte: Die BBC soll eine Art Netflix werden und einen Großteil ihrer 61 Radiosender verkaufen.

Was würde die Umsetzung des Tory-Plans für das 98 Jahre alte und weltweit größte öffentliche Mediennetzwerk bedeuten? Nicht weniger als das Ende seiner Existenz in seiner heutigen Form und Reichweite, sagen Kritiker. BBC-Verweigerer dürften hingegen auf den Wegfall der Gebühren hoffen.

Gefängnisstrafen und die Profiteure

Als Mutter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird die 1922 gegründete BBC international gerne bezeichnet. Kurz „Beeb“ nennen die Briten liebevoll, was ihnen sowohl gut als auch teuer ist. Rund 186 Euro (154,50 Pfund) zahlt man jährlich an Rundfunkgebühren und trägt damit zu einem Großteil des Jahresbudgets von umgerechnet 5,7 Milliarden Euro bei. Eine durch veränderte Fernsehgewohnheiten sinkende Zahl an Gebührenzahlern verstärkt den Druck auf die Verbliebenen: 120.000 Geldstrafen für ausgebliebene Gebührenzahlungen wurden 2018 ausgesprochen. Für Negativschlagzeilen sorgten Fälle, in denen Verweigerer ins Gefängnis kamen. Für Johnson sind diese Geschichten das Wasser auf die Mühle seines BBC-Feldzugs, der nun in eine neue Phase übergeht.

„Johnsons Plan führt ein journalistisches Flaggschiff in ganz raue Gewässer – mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass es mit einem Abo-Modell kentert“, kommentiert Andy Kaltenbrunner die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. Der Medienwissenschaftler und Mitbegründer des Medienhauses Wien gibt zu bedenken, dass „ein öffentlicher Rundfunk mit demokratiepolitischem Vielfaltsanspruch“ und die von Johnson vorgestellten Pläne finanziell nicht kompatibel seien. Zugleich betont Kaltenbrunner die fortwährende Bedeutung der BBC als „wichtigster Orientierungspunkt für Medienqualität und Diskursvielfalt“, im Vereinigten Königreich, aber auch darüber hinaus.

Die Welt-Rundfunkanstalt 

Weltoffenheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind Denksysteme, für die die BBC traditionell steht. Denksysteme, die derzeit nicht nur in Großbritannien einer populistisch aufgeladenen Evaluierung unterzogen werden: CDU-Politiker Friedrich Merz richtete den klassischen Medien kürzlich bei einer Veranstaltung aus: „Wir brauchen die nicht mehr.“ Politiker könnten sich ebenso gut über Social-Media-Kanäle mitteilen und würden dabei „ihre eigene Deutungshoheit behalten“.

Nicht über die Kanäle der sozialen Netzwerke, sondern per „Sunday Times“, die zum Mediennetzwerk Rupert Murdochs zählt, haben die Tories ihre Ideen zur britischen Medienlandschaft lanciert. Überraschend kommt das nicht. Schon im Wahlkampf trommelte Johnson gegen die BBC und einer seiner Berater, Dominic Cummings, hatte den Rundfunksender in der Vergangenheit bereits als „tödlichen Feind“ bezeichnet.

BBC fehlen die Verteidiger

Durchaus als Reaktion auf die Zuspitzung ist der ungewöhnliche Schritt von BBC-Direktor Tony Hall zu sehen, der im Jänner seinen Rücktritt ankündigte, um der BBC eine bessere Ausgangsposition bei der für 2022 angesetzten Überprüfung des Senders zu ermöglichen. Der große Schnitt folgt 2027, wenn die BBC-Charta ausläuft und die Verfassung des Senders neu ausverhandelt wird. Indes fehlt es der BBC an Rückendeckung. Das linke wie das rechte politische Lager fühlte sich im Wahlkampf ungerecht behandelt. Formate wie der „Reality Check“, wo Versprechen von Regierung und Opposition auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, sind der Politik lästig.

Medienexperte Kaltenbrunner warnt vor den Wellenwirkungen der BBC-Pläne: „Die Tory-Strategie ist ein ganz gefährliches Signal für den Sektor in ganz Europa.“ Verliert die „Mutter“ BBC ihren Gebührenstatus, dürften andere öffentlich-rechtliche Sender in Europa nachziehen müssen.