Es ist beinahe amüsant, wie rasch das Wiener Opernpublikum sich provozieren lässt. Calixto Bieito, der in den vergangenen Jahren tatsächlich einige radikale, verstörende Inszenierungen vorgelegt hat, zeigt sich bei „Elias“ zahm, und erhielt für seine nachdenkliche, über weite Strecken faszinierende Regiearbeit dennoch das obligate Buhgeschrei. Dabei ist die Regie voller Respekt für den religiösen Gehalt des Stücks. Bieito thematisiert unter anderem die Frage, wo Sendungsbewusstsein und Prophetie in fundamentalistischen Eifer umschlagen – und weiß Mendelssohn auf seiner Seite. Im zweiten Teil zweifelt der von der wankelmütigen Masse attackierte Prophet Elias selbst. „Ich bin nicht besser als meine Väter“, singt der reumütige Mann, der knapp davor ohne zu zögern, als selbsternannter „Hammer Gottes“, hunderte Anhänger des Gottes Baal ermorden hat lassen. Engel halfen freudig bei der Tat.

Die Inszenierung interessiert sich dafür, was Gottesferne und Verzweiflung mit uns ganz normalen Menschen tun. Der wie üblich fulminant singende Arnold Schoenberg Chor steckt in Alltagskleidung, die auf die Glaubensprobe gestellte Menge zerfetzt eine Pappkirche, büßt den Abfall vom Glauben mit einer quälenden Dürre. Der Regen als Metapher für Hoffnung fällt in dieser Inszenierung ganz real auf die Bühne.
Doch das Seelenheil ist nicht so leicht zu erringen. Am Ende zeigt Calixto Bieito, wie es eventuell möglich wäre. Der geläuterte Prophet verweigert die Selbstverbrennung, das barbarische Autodafé. Es muss noch einen anderen Weg geben.

Grandioser Künstler in der Titelpartie

Bieitos Inszenierung gelingt auch deshalb, weil mit Christian Gerhaher (lesen Sie hier ein Interview) ein stimmlich und darstellerisch überragender Künstler den Elias gestaltet. Gerhaher stellt einen komplexen Charakter auf die Bühne: Getriebenheit, Fanatismus, Brutalität, Skepsis, Skrupel, Selbstvernichtungsphantasien und Ängste beherrschen diesen Mann abwechselnd. Der Sänger verlangt seinem lyrischen Bariton viel Dramatik ab, um die Autorität des alttestamentarischen Groß-Propheten glaubhaft zu machen. Doch die schönsten Passagen sind die leisen, lyrischen, die Gerhaher wie kein zweiter zu singen imstande ist. Der Sänger hat keine Angst davor, Konsonanten überdeutlich zu artikulieren, seine Verständlichkeit steht der seines Vorbilds, des großen Rhetorikers der Gesangsgeschichte Dietrich Fischer-Dieskau, nicht nach (interessanterweise erinnern die vorne liegenden Vokale bei Gerhaher in der Klangfarbe frappant an Dieskau.)

Hochstehend auch das Ensemble. Maximilian Schmitts inbrünstiger Obadjah, die nicht minder intensive Maria Bengtsson als Witwe, Ann-Beth Solvang als fast schon dämonische Königin und Kai Rüütel als schrecklich-schöner Racheengel halten das Niveau, das Gerhaher und der klein besetzte Schoenberg Chor vorgeben. Solide und verlässlich-gediegen, aber auch tendenziell etwas spannungsarm und zu wenig fiebrig-dramatisch ist das Dirigat von Jukka-Pekka Saraste, der mit dem Radiosymphonieorchester Wien so manche düstere Farbe beisteuert.

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