Sie singen im Theater an der Wien die Titelpartie in einer szenischen Fassung des Mendelssohn-Oratoriums „Elias“. Sie scheinen Ihre Rollen genau auszusuchen.
CHRISTIAN GERHAHER: Ich bin ursprünglich kein Opernsänger, sondern komme vom Lied, aber derzeit singe ich sogar viel Oper. Ich finde, man darf den dramatischen Aspekt des „Elias“ nicht unterschätzen, es gibt ja keinen Erzähler mehr wie in älteren Oratorien, die Szenen sind dramatisch umgestaltet.

Und warum jetzt Elias?
Der Elias entspricht eigentlich nicht meinem Bühnenrepertoire, weil er in der Dramatik schon mit dem Wotan aus Wagners „Rheingold“ vergleichbar ist. Aber ich singe ihn schon lange im Konzert, ohne diese Vorerfahrung hätte ich schon mehr Bammel gehabt.

Die Produktionen, in denen Sie mitwirken, scheinen oft speziell zu sein. Sie haben mit Regisseuren wie Peter Sellars, Romeo Castellucci, Christof Loy gearbeitet. Eine Voraussetzung für Sie?
Solche Arbeiten finde ich schon spannend, aber ehrlich gesagt nehme ich Engagements an, bevor klar ist, wer Regie führt. Es passiert eher das Umgekehrte, dass ich eine Rolle absage, wenn ein Regisseur kommt, mit dem ich nicht arbeiten kann.

„Elias“ wird von Calixto Bieito inszeniert, dessen Arbeiten oft skandalisiert worden sind. Wie ist diese Zusammenarbeit?
Ich kannte sein Image, aber die persönliche Erfahrung ist ganz anders. Die Arbeit ist intensiv, aber er ist angenehm, hochgebildet, flexibel und sensibel. Er zögert nicht, seine Ideen über Bord zu werfen, wenn sich etwas Neues auftut.

Ein großer Teil Ihres Lebens widmet sich dem Lied. Was ist der Unterschied zur Oper?
Ich muss in einem Punkt meinem Vorbild Dietrich Fischer-Dieskau widersprechen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Operngesang und Liedgesang. Wenn ich viel Oper singe, laufe ich Gefahr, automatisch „in die Maske hineinzusingen“. Das mag ich nicht, weil es die farbliche und dynamische Differenzierbarkeit einschränkt. Das ist eine große Gefahr fürs Lied. Und es ist ein Kampf für den Ausführenden, zwischen Oper und Lied zu wechseln.

Ist der Liedgesang nicht auch große geistige Herausforderung?
Die ist die Oper auch, aber die Mittel sind unterschiedlich. Auf der Opernbühne habe ich ein Proszenium, eine Grenze zwischen Illusion und Realität. Trotz aller Verfremdungen und Verunklarungen durchs Regietheater oder schlechter Libretti besteht am Ende der Oper kein Zweifel darüber, was da stattgefunden hat. Eine Oper möchte verstanden werden. Bei einem Liederabend befinden sich Interpreten, Hörer und imaginär auch Komponist und Dichter in einem nicht getrennten Raum.

Und ein Lied möchte nicht verstanden werden?
Je mehr man konkretisieren möchte, was ein Lied bedeutet, desto stärker gefährdet man seine Identität. Das Akzeptieren dieses Restes an Unverständlichkeit ist etwas Wesentliches.

Man merkt einen Publikumsrückgang bei Liederabenden. Ist die Kunstform gefährdet?
Ich vergleiche das mit der Kirche. Als ich jung war, waren alte Frauen in der Kirche, da hieß es, wenn die sterben, geht keiner mehr hin. Aber es gibt immer noch alte Frauen, die in Kirchen gehen. Wäre es nicht mein Beruf, wäre ich wohl auch erst mit 50 zum Lied gekommen. Die Lieder von Schubert, Schumann und Mahler haben überhaupt nichts Unterhaltendes, die behandeln Existenzfragen.