Ulrich Seidl nimmt den Schlager und alle, die in diesem Kosmos eine heile Welt gefunden haben, ernst. Todernst. Zu seinem neuen Film „Rimini“ steuern Fritz Ostermayer und Herwig Zamernik alias Fuzzman das Album „Best of – Lieder meines Lebens“ bei, mit dem sie sich vor Seidls Protagonist Richie Bravo, den Verlorenen und allen Stehaufmännchen und Stehaufweibchen dieser Welt mit Songs wie „Amore Mio“, „SOS“ oder „Emilia“ verbeugen. Mit „Rimini“ meldet sich der Provokateur und Grenzüberschreiter des österreichischen Kinos zurück. Am Mittwoch feierte der zärtlichste und zugänglichste Film des Regisseurs und Produzenten eine Gala-Premiere auf der Diagonale, bevor die Studie des Scheiterns morgen nach seiner Uraufführung bei der Berlinale in den Kinos anläuft.
„Rimini“ ist wie ein Best-of der vielfach prämierten Karriere des 69-jährigen Ulrich Seidl: tristes Außenseiter-Milieu, mitleidslose Kamera, improvisiertes Spiel, faszinierende Tableaus, explizite und ungeschönte Sexszenen, tiefgründiger Humor, schlechte Witze, wahrhaftige Sprache und politische Assoziationen.


Im Fokus steht der abgehalfterte, aus der Zeit gefallene und in Rimini gestrandete Schlagerstar Richie Bravo (schlicht großartig: Michael Thomas), dessen protziges, mit Pappfiguren seiner selbst dekoriertes Haus in Rimini an glamouröse Zeiten erinnert. Aber der Lack ist längst ab. Das Einzige, das noch glänzt, sind seine Kostüme, in die er sich mithilfe eines Mieders zwängt, um vor Busreisenden (u. a. Inge Maux, Claudia Martini) aufzutreten und zu unterhalten. Für ihn selbst sind die Gigs in verlassenen Hotels vor trister Wetterkulisse wie ein allerletztes Aufgebot an Glück. Nicht selten hat Richie Bravo im Anschluss noch Sex mit einer Besucherin – gegen Bezahlung. Als Gigolo und mit Hochprozentigem hält er sich über Wasser.


Seidl hatte mit „Böse Spiele“ eigentlich einen anderen Film geplant. Nun werden zwei daraus. Nebst „Rimini“ soll „Sparta“ – mit u.a. Georg Friedrich – noch 2022 eine Festivalpremiere feiern. Cannes und Venedig böten sich an, bei beiden lief Seidl schon im Wettbewerb.
Endstation Sehnsucht – dieses Bild scheint maßgeschneidert für Richie Bravo zu sein, trifft aber auch auf alle anderen Figuren im Seidl-Kosmos zu. Die geflüchteten Menschen aus Afrika, die im Winter an der Adria gestrandet sind und in „Rimini“ keine Stimme haben. Oder Richie Bravos Vater, der in einem Heim für Demenzkranke lebt und sich an wenig erinnern kann, an die Lieder der Wehrmacht schon. Und Richie Bravos 18-jährige Tochter (Tessa Göttlicher), die plötzlich vor ihm steht, nach Entschädigung verlangt und sich doch nur Zugehörigkeit und einem Daheim sehnt. Wie ihr Vater auch. Verloren sind irgendwie alle. Aber nicht für ewig.