Es war ein Jubiläum in geschlossener Gesellschaft. Vor 125 Jahren haben die Bilder laufen gelernt. Als allererste öffentliche Filmvorführung gilt jene von Pionier Georges Méliès und weiteren 32 Personen am 28. Dezember 1895 im Keller des Pariser Grand Café. Eine Notiz am Rande: Die Presse folgte der Einladung nicht. Die Anwesenden, so viel ist überliefert, waren von der Projektion „sprachlos, erstaunt und überrascht“. Der Rest ist Kinogeschichte.
Der Zeitpunkt für Feierlichkeiten könnte trister nicht sein. Denn: Die meisten Kinos befinden sich im Lockdown und die Leinwände bleiben schwarz. Geburtstagspartys für die Erfinder-Brüder Auguste und Louis Lumière, die in Wien ein Jahr später zum Filmeschauen in die Kärntnerstraße luden, fallen coronabedingt aus oder sind ins Netz ausgewandert. Wie so vieles.

Die Lage ist ernüchternd. Wann genau es wieder so etwas wie ein weltweites Kinoleben und rote Teppiche mit Stars auf den Filmfestivals geben könnte, steht derzeit in den Sternen, auch Cannes im Mai wackelt. Es wäre nicht Hollywood, würde man nicht filmreif Hoffnungen schüren: zunächst mit Christopher Nolans „Tenet“, der respektable 360 Millionen US-Dollar an den Kassen einspielte. Ohne Corona wäre es deutlich mehr gewesen. Zum ersten Mal überhaupt stand im Vorjahr ein Film an der Spitze der Kassen, der nicht aus Hollywood kam, sondern aus China: „The Eight Hundred“. Ein Faktum, das die Hoheit des US-Kinos widerlegt.
Erst im Dezember ging ein Raunen durch die Branche, als Warner Bros. ankündigte, 17 Großproduktionen wie „Matrix 4“ oder „Godzilla vs. King Kong“ in diesem Jahr auf Leinwand und im eigenen Streamingdienst HBO Max anzubieten. Hierzulande vorerst nicht, das soll sich aber 2021 ändern. Als Pionierin sozusagen sollte Gal Gadot in „Wonder Woman 1984“ kurz vor Weihnachten das US-Filmbusiness bei gleichzeitigem Erscheinen in Kinos und im Stream die Branche retten. Aber: HBO Max ist noch ein Zwerg am Markt, Mitte Dezember wurden nur 12,6 Millionen Abos gezählt. Prognosen gehen von 20 Millionen bis Ende Februar aus. Noch immer deutlich weniger als Netflix (fast 200 Millionen oder Disney+ mit mehr als 70 Millionen Abos).

Die Streamingriesen wiederum begaben sich 2020 auf Einkaufstour und haben die Verwertung von Filmen aufgekauft – wie beim Venedig-Liebling „Pieces of a Woman“. Es geht u. a. um die Oscar-Gala, um Prestige und Marktwert. Nur bei James Bond konnte bislang niemand landen. Daniel Craig soll nach zig Verschiebungen mit „No Time To Die“ die Leinwand am 31. März entern.


Und nach der Krise? Wird sich die Kinolandschaft verändern. Wahrscheinlich ist, dass das Kinofenster, also die lange exklusive Auswertung im Kino, fürs Kino fallen wird bzw. als Hybrid-Modell zurückkommt. Blockbuster brauchen die große Leinwand und die volle Aufmerksamkeit, das wird auch künftig so sein. Genauso wie das stets wachsende, billig zu produzierende Horrorgenre. Betroffen davon könnten kleinere Filme sein, die etwa nach einem schwachen ersten Kinowochenende schneller und unkomplizierter im Video-on-Demand verfügbar sind oder gleich dort. Die „Financial Times“ hat berechnet, dass bei einer kürzeren Kinoauswertung von 17 Tagen mit späterem Streaming ein Studio noch immer rund 50 Prozent des Gewinns im Kino machen würde. Vielleicht wird sich die Zahl der Filme in einem Kinojahr reduzieren. Das Erlebnis – so die These – wird aber steigen. Egal ob im Megaplex oder im Arthouse-Kino. Gerade nach der streamingreichen Lockdown-Zeit.