Jean Dujardin und Louis Garrel in "J'accuse"
Jean Dujardin und Louis Garrel in "J'accuse" © La biennale

Der Titel, den Roman Polanski seinem neuem Film gegeben hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. "J’accuse" lautet der französische Originaltitel, „Ich klage an“. Und das passt nur zu gut zu der Debatte um die umstrittene Einladung des 86-jährigen Autorenfilmers in den Wettbewerb von Venedig. Lange Zeit sah es so aus, als bewege sich der in Frankreich lebende Regisseur im Hinblick auf die #MeToo- und #TimesUp-Bewegung eher unter dem Radar. Letztlich holte ihn die Vergangenheit aber doch ein: Erst schloss die Oscar-Akademie den Preisträger 2018 aus. Jetzt bringt seine Teilnahme in der Löwen-Konkurrenz alles noch einmal auf den Tisch: die Vorwürfe der Vergewaltigung und sexueller Übergriffe genauso wie den Fall aus den 70ern, bei dem es um Sex mit einer 13-Jährigen geht und Polanski aus den USA flieh.

Bei der Frage, ob solch ein Regisseur heutzutage noch in den Wettbewerb eines Festivals wie in Venedig eingeladen werden sollte, ist die Meinung gespalten. Die zentrale Frage: Kann und sollte man zwischen dem Künstler und der Person trennen? Auf jeden Fall, wenn es nach Festival-Chef Alberto Barbera geht. "J’accuse" sorgte entsprechend für viel Wirbel und erhöhten Andrang im Kino. Polanski selbst aber war nur wenige Sekunden als Statist auf der Leinwand zu sehen. In Venedig überließ er andere die Fragen der Medien beantworten: Jean Dujardin, Louis Garrel, Polanskis Frau Emmanuelle Seigner und Produzent Luca Barbareschi, der vorweg ankündigte, es würden nur Fragen zum Film akzeptiert. „Wir lassen die Polemik beiseite. Das hier ist kein moralischer Prozess. Wir wollen die Kunst hochhalten und die ist frei", sagte er. Und damit hatte sich die aufgebaute Debatte erledigt, bevor sie mit Beteiligten geführt werden konnte.

Nach der Pressevorführung bekam "J’accuse" zwar recht starken Applaus. Dessen Titel bezieht sich eigentlich auf einen Brief, den Emile Zola im Zuge der sogenannten Dreyfus-Affäre von 1895 veröffentlichte. Garrel verkörpert den jüdischen Artillerie-Hauptmann Dreyfus, der damals unschuldig des Landesverrats verurteilt wurde. Dujardin spielt den neuen Leiter des französischen Geheimdienstes, der die Affäre entschlossen aufdeckte.
"J‘accuse"  lässt den weit verbreiteten Antisemitismus in der damaligen Gesellschaft einfließen und reicht mit manch Parallele ins Heute, während nicht nur bei der Ausstattung die Geschehnisse um Wahrheit und (Un-)Recht, Verdrehungen und Vertuschungen an höchster Stelle detailversessen rekonstruiert werden. Das ist von Polanski recht trocken inszeniert. Doch nicht nur die Bilder dieses Historienkrimis wirken dabei oft wie gemalt. Er hält auch das nötige Maß an subtiler Spannung. Die Einladung des Films in den Wettbewerb lässt sich also durchaus rechtfertigen – zumindest für alle die, die zwischen Künstler und Persönlichkeit trennen.