Anfangs gibt es Glockengeläut, einen Sisyphosfelsen, der auf der Bühne herumgeschoben wird, und über der halbvoll-vollbesetzten Publikumstribüne ein Licht, das nicht ausgehen will. "Everywoman" heißt das Stück, das zum 100-Jahr-Jubiläum der Festspiele dessen Kernstück auf seine zeitgenössische Relevanz abklopft.

Das Festival hat Milo Rau mit diesem Projekt beauftragt, und der Schweizer Theatermacher, der es mit dokumentarischen Stücken und Reenactments von z.B. Gerichtsprozessen, Bürgerkriegs- und Fluchterfahrungen immer wieder schafft, Theater zur politischen Erfahrung zu machen (was es sonst oft genug ja nur von sich behauptet) hält sich nicht lange damit auf, dem alten "Jedermann" das Wechselgeld an Themen aus dem Rock zu schütteln, das man in zeitgenössischen Bearbeitungen sonst gerne klimpern hört: Religion, Sinnsuche, Materialismus, Kapitalismus, Katharsis etc. Stattdessen nimmt sich Rau gemeinsam mit Schauspielerin und Ko-Autorin Ursina Lardi den Tod vor, den Skandal jedweder Existenz.

Für ihren Versuch, über das Sterben zu sprechen, haben die beiden eine Kollaborateurin gefunden, die seit Februar mit der Diagnose unheilbarer Bauchspeicheldrüsenkrebs lebt. "Die meisten sind nach drei Monaten tot", hörte die Berlinerin Helga Bedau, als sie ihren Arzt nach ihren Aussichten fragte. Am Mittwoch konnte sie nach einem atemberaubenden Abend in der Szene Salzburg leibhaftig den Premierenapplaus entgegennehmen, den sie sich zuvor in einem unglaublichen Videoauftritt erspielt hatte.

Darin erzählt Bedau, die früher Lehrerin und noch früher Amateurschauspielerin war, mit großer Offenheit und erstaunlichem Humor aus ihrem Leben, und vom Leben mit dem Tod. Freimütig verrät sie ihren größten Wunsch ("Dass mein Sohn bei mir ist"), und wie ihr Sterben sein soll: zuhause, im Sommer, bei Gewitter und Bach. Da schaltet Lardi die Regenmaschine ein, setzt sich ans Klavier und spielt "Nun komm, der Heiden Heiland", während die Kamera von Bedau wegzoomt, bis sie im Dunkel des Videos verschwindet. Es ist nicht der einzige erschütternde Moment an diesem bewegenden Abend, der den Versuch unternimmt, sich der Unausweichlichkeit des Todes zu stellen, in einer Zeit, die mit Fragen der Metaphysik nichts mehr anzufangen weiß und angesichts einer Gesellschaft, die das Lebensende verdrängen muss, weil sie damit keine Erlösungshoffnung mehr verknüpfen kann: Der Tod wird umso skandalöser, je näher man ihm kommt.

Es gebe über den Tod also wohl deswegen "nichts Neues zu sagen" mutmaßt Lardi an einer Stelle, weil die kollektive Verdrängungsleistung so erfolgreich ist. Deswegen wiederum sei das Sterben so eine einsame Angelegenheit geworden. Um sich dem Ende stellen zu können, braucht es Gemeinschaft, müsse der Mensch also im anderen, oder noch besser: in allen anderen aufgehen lernen, behauptet "Everywoman". Und tatsächlich scheint der gesamte Abend genau das zu versuchen: Rau stellt Bühnengeschehen und Video wie Resonanzräume von Dies- und Jenseits auf und lässt sie dabei in fast unheimlicher Präzision interagieren; einmal scheint Lardi aus einer Tür hinaus- und direkt in Bedaus Video hineinzusteigen, parallel scheinen die Biografien der beiden Protagonistinnen ständig ineinanderzufließen. So, als würde auf der Bühne nicht gespielt, sondern gelebt. Langer Applaus, für die großartige Ursina Lardi natürlich, aber vor allem für Helga Bedau, die hier zeigt, wie gut aufgehoben man im Leben sein kann, auch so nahe am Tod.