Der "Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur" ist am Montagvormittag in der Universität Mozarteum Salzburg an den slowenischen Autor Drago Jancar verliehen worden. Staatssekretärin Andrea Mayer nannte ihn einen "europäischen Geschichtenerzähler slowenischer Sprache". Unter den Gästen befand sich auch Peter Handke, dem von Mayer "für den großen Theaterabend gestern" gedankt wurde.

Sie habe vor kurzem Jancars bisher letzten Roman "Wenn die Liebe ruht" gelesen, sagte Mayer. "Seine Bücher erinnern uns daran, was geschieht, wenn die Landesgrenze über Nacht zur Front wird, seine Geschichten zeigen eindrücklich, wie die Psychologie der Macht funktioniert und wie schnell der Mensch unter das Rad der Geschichte gerät." Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat diesen Roman gelesen, wie er erzählte. Er habe ihn von der slowenische Botschafterin erhalten und sich gedacht: "Endlich mal ein nützliches Geschenk." Dann habe er den Titel gesehen: "'Wenn die Liebe ruht'? Was ist denn das für eine Strandlektüre?" Das habe sich bei der Lektüre rasch als Vorurteil herausgestellt: "Lesen Sie's! Für mich war es ein Erlebnis, das Buch zu lesen. Meine Frau und ich haben es inzwischen mehrfach weitergeschenkt."

Katja Gasser, die Literaturchefin des ORF, nannte ihre Laudatio "Vom Aufstand der Literatur gegen die Verengung". Jancar schreibe nämlich seit jeher gegen die Verengung des Blicks an und zeige die "Gefährlichkeit des eindimensionalen Blicks". Jancar erzähle in seinem Werk "eindringlich von den schrecklichen politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts" mache alles Totalitäre als etwas sichtbar, das gegen den Menschen gerichtet ist. Gleichzeitig mache er "den Menschen in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit sichtbar, wozu Widersprüche gehören": "Die Frage, wie aus dem Liebenden ein Hassender wird, aus dem Menschen eine Bestie", sei eine der Grundfragen, die Jancar stelle. Sein Werk sei auch "eine akribische Studie menschlicher Verrohung und ihrer Folgen für Generationen", sagte Gasser und schloss: "Ihr Werk möge uns überleben!"

Der 72-jährige Autor berichtete in seiner Dankesrede, in den vergangenen Tagen seien ihm viele Fragen gestellt worden, was europäische Literatur für ihn bedeute: "Ein großes Orchester oder ein Chor, in vielen Sprachen, der vielstimmig aus Vergangenheit und Gegenwart berichtet", sei seine Antwort darauf. Man könne einzelne Stimmen heraushören. "Meine Stimme bzw. mein Instrument ist nur eine von ihnen. Ich freue mich, dass diese Einzelstimme bzw. dieses Instrument in Österreich Gehör gefunden hat." Er erinnerte an seine zahlreichen Besuche im Literaturhaus Salzburg, an seine Freundschaft zu Ludwig Hartinger und Karl-Markus Gauß, dankte seinen Übersetzern als den Co-Autoren seiner Texte, und seiner ehemaligen Slowenisch-Professorin, die gesagt habe, mit Slowenisch komme man nicht weit... Ihr könne er heute sagen: "Sehen Sie, wie weit man damit kommt: bis nach Salzburg, bis zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur!"

Drago Jancar wurde am 13. April 1948 in Maribor geboren. 1974 wurde er in Jugoslawien wegen "feindlicher Propaganda" inhaftiert. Heute lebt er in Ljubljana und gilt als der bedeutendste zeitgenössische Autor Sloweniens, seine Romane, Essays und Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt. Zu seinen auf Deutsch erschienenen Büchern zählen "Rauschen im Kopf", "Der Baum ohne Namen", "Der Galeerensträfling", "Die Nacht, als ich sie sah" und zuletzt "Wenn die Liebe ruht". Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird jährlich für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines europäischen Autors verliehen. Die Preisträger der vergangenen Jahre waren Karl Ove Knausgard, Zadie Smith und Michel Houellebecq.