Leicht hatte es das Haus noch nie. Im ewigen Ringen um den Platz als dritte Wiener Sprechtheaterbühne hinter Burg- und Akademietheater muss sich das Volkstheater seit jeher gegen Josefstadt und Schauspielhaus behaupten – ein Unterfangen, das der Bühne von Publikum und Kritik traditionell nicht leicht gemacht wird. Das enorme, von einst 1900 auf heute „nur“ noch gut 800 Sitzplätze verschlankte Auditorium auszulasten erweist sich dabei als ebenso schwierig wie es der Wiener Kritik künstlerisch recht zu machen. Da ist das Direktoren-Dreschen lange Usance – frag’ nach bei Emmy Werner, Michael Schottenberg oder zuletzt Anna Badora!

Kay Voges ist derlei bislang kaum widerfahren. Nicht, weil die Kunstrichter plötzlich so milde wären. Es gab bloß noch nicht viel Gelegenheit zur Kritik. Voges, 2019 bestellt, ist seit der Saison 2020/21 Volkstheater-Intendant. Aber statt für künstlerischen Neubeginn steht der Auftakt seiner Ära nun exemplarisch für die Verletzlichkeit des Kulturbetriebs. Weil das dauerbaufällige Haus generalsaniert werden musste und sich ein Lockdown an den nächsten reihte, lag der Theaterbetrieb gleich seine ganze erste Spielzeit lang brach: „Das letzte Jahr bestand aus Planen, Verwerfen, Planen, Verwerfen“, erzählt der aus Dortmund berufene Theatermacher im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Trotzdem herrsche im Haus „eine tolle Energie“, beteuerte er noch letzten Sommer. Da konnte er, kurz vor Saisonschluss, erste mitgebrachte Inszenierungen zeigen. Darunter eine knochentrockene Version von Becketts „Endspiel“ und eine pointierte Zerlegung von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“. Im Herbst gab es dann endlich den echten ersten Saisonstart – und eine Ahnung dessen, was Voges mit dem Volkstheater vorhat: Theater, das – wie ein Kollege in dieser Zeitung schrieb – keineswegs „bekömmlich“, aber immer aufregend ist. Darunter „Die Politiker“ von Wolfram Lotz, Susanne Kennedys Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“, Lydia Haiders „Zertretung“; besetzt mit Kalibern wie Andreas Beck, Uwe Schmieder, Samouil Stoyanov oder der jungen Anna Rieser.

Bloß war nach drei Monaten schon wieder Schluss, wegen Lockdown Nr. 4. Seither reißen die schlechten Nachrichten nicht ab: Eine Auslastung von 45,55 Prozent verzeichnete man in den ersten 100 Tagen von Voges‘ erster echter Saison. Auch für den Intendanten selbst ist das „eine Katastrophe“. Die wiegt umso schwerer, als von den 2500 Abonnements vor der Generalsanierung nur noch 250 übrig sind. Abo-Verluste von 90 Prozent, im institutionalisierten Theaterbetrieb ist das der Schlimmstfall. Wie kommt sowas? Nicht nur Pandemie und Sanierung, glaubt Voges, seien daran schuld: „In der Premierenflut des Herbsts haben viele Menschen gar nicht mitbekommen, dass das Volkstheater nach der langen Schließung wieder offen hat. Wir haben keinen Zuschauerstamm mehr und müssen nahezu bei Null anfangen, um im Wiener Kulturleben wieder Alltag zu werden.“