Vom Stauferkönig Friedrich II. geht die Legende, er habe, um die „Ursprache“ des Menschen herauszufinden, Säuglinge zwar physisch versorgen, aber ohne menschliche Zuwendung aufziehen lassen. Alle Kinder starben. In Pedro Calderón de la Barcas 1635 uraufgeführtem Stück „Das Leben ein Traum“ hat der polnische Königssohn Sigismund körperlich eine derartige Isolation überlebt, aber sein Gefühlsleben ist komplett verödet.

Zumal in Martin Kušejs Inszenierung, die am Freitag die Burgtheater-Saison eröffnete. Das Drama um die moralische Läuterung des Prinzen organisiert Kušej als Tableau, das die Unüberwindlichkeit eines autoritären Machtsystems illustriert. Am Ende ist ein neuer König installiert, die alte Herrschaftsstruktur abgesichert. Von Beginn an herrscht in der in Schwarz-Weiß gehaltenen und fahl ausgeleuchteten Kulisse wenig Zweifel an der Unausweichlichkeit des Kommenden. Das Königreich Polen ist in Annette Murschetz’ spektakulärem Bühnenbild die turmhoch aufragende Schütte eines enormen Kohlenkellers, im Thronsaal schlagen schiefe Wände so bedrohlich über den Menschen zusammen wie im Kabinett des Dr. Caligari.

Prinz Sigismund, von seinem Vater Basilius von Geburt an eingekerkert, weil ihm eine düstere Weissagung eine Zukunft als Tyrann verhieß, wird vom König aus seinem Verlies geholt, um ihn doch noch auf seine Regierungstauglichkeit zu prüfen. Prompt erweist er sich als brutaler Despot und Mörder und wird alsbald zurück in sein Gefängnis gebracht, wo ihm sein Aufpasser weismacht, er habe den Ausflug an die Macht nur geträumt. Als Revolutionäre ihn aber ein zweites Mal befreien, zeigt sich Sigismund geläutert und erkennt: „Es ist der größte Sieg, dass ich mich selbst bezwinge.“ Er stellt nebst der öffentlichen Ordnung die Ehre einer gekränkten Frau wieder her und vergibt seinem Vater.

Von Calderóns politischer Zuversichtlichkeit ist bei Kušej nichts übrig: Sigismunds Moralität ist hier nur Instrument des Machterhalts, die Verlierer sind die üblichen: Frauen, Erneuerer, einfaches Volk. Während jeder einzelne Angehörige der Oberschicht Schonung findet, müssen zwei Diener ihr Leben lassen, wird die entehrte Rosaura an ihren Verräter verschachert und der Revolutionär, der Sigismund befreit hat, von diesem wegen Treuebruchs an der Obrigkeit zum Tode verurteilt. Woraufhin ihn König Basilius gleich persönlich absticht.

Trotz Corona-Sitzordnung gut gefüllt: das Burgtheater bei der ersten Premiere der Saison 2020/21.
Trotz Corona-Sitzordnung gut gefüllt: das Burgtheater bei der ersten Premiere der Saison 2020/21. © APA/WOLFGANG HUBER-LANG

Große Bilder, große Gesten: Nicht nur in der Ausstattung, auch im Tonfall wirkte all das recht monochrom, wären da nicht die Schauspieler, die den gut dreistündigen Abend tragen: allen voran Norman Hacker und Franz Pätzold, die einander als Vater und Sohn in fiebriger Anziehung umschleichen; Hacker als weltmüder Gewaltherrscher, Pätzold als in der Isolation vertierter Prinz, der in autoritärem Handeln den Haltegriff in fragwürdiger Wirklichkeit entdeckt. Tim Werths führt den kauzigen Diener Clarin, Julia Riedler die entehrte Rosaura zu tragischer Größe, schillernd stellen Andrea Wenzl und Johannes Zirner die Rankünen eines machtgeilen Höflingspaars aus. Die Verödung der Gefühle trifft in dieser Gesellschaft nicht nur die Isolierten.

Langer Applaus im trotz Corona-Sitzordnung wohlgefüllt wirkenden Burgtheater: 691 von 1175 Plätzen konnten besetzt werden. Steigen die Infektionsraten, sind es nur noch 250. Dann würde es nicht nur auf der Bühne düster.

Regie: Martin Kušej
Bühne: Annette Murschetz
Kostüme: Heide Kastler
Musik: Bert Wrede
Licht:  Friedrich Rom
Mit: Norman Hacker, Franz Pätzold, Julia Riedler, Johannes Zirner, Andrea Wenzl, Roland Koch u.a.
Nächste Termine: 13., 15., 20., 25., 28. September, 6., 22., 24., 28. 30. Oktober.
Infos und Karten:www.burgtheater.at