Wie erzieht man ein ganzes Volk um? Mao versuchte es während Chinas Kulturrevolution 1966–76 unter anderem mit Modellopern: Musiktheater, Ballett, Sinfonien, die nebst künstlerischer Erbauung vor allem der politischen Dressur dienten. Gutteils und wohl zu Recht sind diese heute vergessen; Einblick zumindest in die Bildästhetik dieser chinesischen Propagandakunst gibt es ab heute, Ostersonntag im Grazer Schauspielhaus.

Intendantin Iris Laufenbergist nämlich der Coup gelungen, ein Werk des südafrikanischen Zeichners, Animationsfilmers, Performers, Regisseurs William Kentridge zum Klanglicht-Festival nach Graz zu holen: „Notes towards a Model Opera“ heißt die Videoinstallation, die auf drei Leinwänden drei Tage lang im Haus zu sehen ist.

Es ist ein überwältigender Klang- und Bilderstrom aus animierten Skizzen, politischen Parolen und Nonsense-Slogans, aus flirrenden Landkarten und Handschriften, ein Irrwitz zwischen Spitzentanz und „Internationale“ im Sambarhythmus. Kentridge baut aus der Bildsprache und Phraseologie der Kulturrevolution nicht nur eine Untersuchung maoistischer Propaganda. Er klopft auch ihren Einfluss auf die Klassenkampfrhetorik afrikanischer Regimes ab. Und er richtet zugleich den Blick auf chinesische Interessen in Afrika: „China schwebt über uns wie ein riesiger Zeppelin“, so kontextualisiert Kentridge seine 2015 in Peking erstmals gezeigte Arbeit. Chinas schiere Größe, sein Appetit auf Ressourcen, seine Präsenz in Afrika werfe viele Fragen auf und lasse viele Antworten offen: „Sind wir die angepflockte Ziege, die den Tiger anlockt? Ein leichtes Opfer?“

Der (nicht nur europäische) Kolonialismus und die Erfahrung der Apartheid in Südafrika prägen seit jeher Kentridges vielschichtiges Werk. Durchdringung und Überlagerung von Materialien und Medien kennzeichnen bildnerische und Bühnenarbeiten – komplexe Geflechte aus Kunst, Ideologie, Politik, Geschichte, Erinnerung. Ganz im Sinne von Kentridges Credo: Die Welt ist nicht Tatsache, sondern Prozess. „Jeder Sessel, auf dem wir sitzen, macht uns bewusst, dass er einmal Bohle, einmal Baum war; und dass er einmal auf dem Müll landen wird, im Feuer, dass er zu Rauch und Asche werden wird“, so formuliert er es selbst.

Der Künstler, der als Regisseur 2017 den Salzburger Festspielen einen triumphalen „Wozzeck“ bescherte, hat übrigens auch zu Graz eine nicht unwesentliche Verbindung: Im „steirischen herbst“ 1996 waren in der Ausstellung „Inklusion:Exklusion“ erstmals Arbeiten von ihm in Österreich zu sehen. Dort sah sie Catherine David und lud Kentridge 1997 zur „documenta X“ nach Kassel – Start einer Weltkarriere, in deren Zuge Kohlezeichnungen des Südafrikaners auf dem Kunstmarkt heute 250.000 Euro und mehr einbringen.

Notes towards a Model Opera. Klanglicht 2019, Schauspielhaus Graz. 21./22./23. April, ab 20.30 Uhr.